WDR u.a. Kommentar: Wulff & die KMK

WDR 3 Tageszeichen /  27. 9. 04

 

Schon wieder Bildungskrieg?

Will Ministerpräsident Wulff die KMK abschaffen oder will er sie zur Bildungsregierung machen? 

Von Reinhard Kahl
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Langsam verzieht sich schon wieder der Qualm vom deutschen Bildungsschlachtfeld, auf dem an diesem Wochenende der niedersächsische Ministerpräsident – pardon – herum ballerte. Und etwas resigniert könnte man sagen, das Feld ist anschließend noch etwas verwüsteter als zuvor. Jedes Mal das gleiche. Wo doch die Bildung, die wir Deutsche so hoch halten, eine der wichtigsten Kultivierungsleistungen sein soll.

Der 30jährige Bildungskrieg, der letzte Religionskrieg der uns noch geblieben, ist nicht vorbei.

 

Wir glaubten ja gerade den Rechtschreibkrieg hinter uns zu haben, bei dem es vor allem um Trennungsregeln, Kommas und die 3 „F“ der Flussschifffahrt ging. Auch da kämpfte Christian Wulff ganz vorn mit. Im September kündigte er an, den unfähigen Kultusministern das Heft in Sachen Orthografie aus der Hand zu nehmen. Nun ist der Sommer vorbei. Das Populismus Projekt ist im Rohr krepiert. Aber Wulff spürt, Bildung wird das Thema der Saison und er sagt sich, auf in den Ring, die Tagesordnung bestimmen und sich als mutiger Entscheider präsentieren. So macht sich Christian der Große auf, den KMK Knoten eigenhändig zu zerschlagen. „Ich kündige den Staatsvertrag.“ Unbeschwert von Wissen, denn es gibt gar keinen Staatsvertrag. Ohne Abstimmung. Einfach nur so, aus purer Entschlossenheit. Schon am Tag drauf wird er kleinlaut und spricht in Interviews nichts als Klischees. In der Kultusministerkonferenz solle nicht mehr der Langsamste das Tempo bestimmen. Sie sei nicht innovativ. Und so teuer. 2,5 Millionen zahle Niedersachsen im Jahr für lauter arrogante Bürokraten. Das klingt wie für BILD zum Zitieren gedichtet. Heiße Luft. Nehmen wir das Geld. Täglich zahlt das verschuldete Niedersachsen sieben Millionen Euro bloß an Zinsen.

 

Man sollte Wulff nicht zu viel politisches Kalkül unterstellen. Die prompten Reaktionen seiner CDU Kollegen aus Hessen und Stuttgart zeigen, da ist in Hannover keine Strategie, außer der des Egos. Profilierungspanik. Schon Samstag Abend in den Tagesthemen wirkte er nur noch tollpatschig, als Anne Will ihn aufs Glatteis führte. Kurz vor dem Einbruch fiel ihm ein, nein, nein, abschaffen wolle er die KMK ja gar nicht, worauf der Austritt eines Landes aber hinaus liefe. Nur erneuern. In der KMK solle künftig nicht mehr die Einstimmigkeit, das berühmte Vetoprinzip gelten. Das klingt moderat, richtig vernünftig. Aber was das heißt, hatte er sich auch wieder nicht überlegt. Wenn Länder künftig tatsächlich durch Mehrheitsbeschlüsse überstimmt werden können, dann würde aus dem Abstimmungs- und Handlungsvermeidungsorgan, das die KMK ja ist, eine Art Bildungsregierung. Dann bestimmte die Mehrheit der Bundesländer über die unterlegenen. Das wäre das Ende des Föderalismus. Wer glaubt eigentlich eine so mit Macht gestärkte KMK würde Entscheidungen fördern und Deutschland vielleicht sogar dem Bildungsfrieden näher bringen? Und was will Wulff nun wirklich? Die KMK abschaffen oder sie zu einer dritten machtvollen Instanz neben den Ländern und dem Bund erhöhen?

 

Man sieht, der Föderalismus ist das Problem. Die KMK ist nur das Symptom. Wir haben in der Bildung einen regulierungswütigen, häufig die Akteure demütigenden Zentralismus. Und den haben wir gleich 16 Mal. Dessen Kopfgeburten müssen dann in der KMK ewig abgestimmt werden. Daraus wird nie was.

 

Wir brauchen unter dem Dach eines prinzipiellen Konsenses eine gute Klimapolitik, damit in durchaus vielfältigen Bildungslandschaften eigenwillige Schulen gedeihen. Wer weiß, vielleicht bringt uns die Wulffsche Attacke am Ende doch einer Lösung näher? Vielleicht merken wir inmitten des mit sich verhedderten Föderalismus und all der deprimierenden OECD-Diagnosen, wie klar und einfach die Modernisierungsformel der erfolgreichen Bildungsnationen ist. Dort gibt es eine starke, aber kleine politische Zentrale. Sie organisiert vor allem den Konsens über Ziele und sie sorgt für die nötigen Ressourcen. Ansonsten, alle Macht den Schulen, Hochschulen und den vor Ort Handelnden. Eine dritte Instanz heißt Evaluation: Rechenschaft geben. Diese moderne Dreifaltigkeit ermöglicht, wovon wir in Deutschland immer nur sprechen: Vielfalt.