München, 17. August 2016
Diese Woche, es ist die letzte der drei Mini-München Wochen, begann mit einer „Antikapitalismus-Demo“ – so nannten sie die Kinder. Schon vergangene Woche passierten sonderbare Dinge an der Börse, die es dort auch gibt. Mini-München ist wie die echte Welt, sagen die Kinder. Und dazu gehören auch das Geld, die Bank und selbst die Börse. Die ist bei Mini-München allerdings das einzige, was irgendwie nicht ganz echt ist, sondern durch und durch inszeniert.
Echt ist es, wenn Kinder zum Beispiel Holzhäuser bauen und zuvor Modelle in der Architektenwerkstatt erfinden. Echt ist es auch, wenn sie im Handwerkerhof als Buchbinder wunderbare Notizbücher herstellen. Echt ist es, wenn sie in weißen Kitteln im Forschungsinstitut an Labortischen Geschmacksstoffe, das Licht oder das Wasser untersuchen. Und wie echt ist es in der Fahrradküche aus Schrotträdern völlig neue Räder zu basteln, zum Beispiel mit einem kleinen Vorder- und einem großem Hinterrad. Und wie sie diese dann zusammenschweißen. Ja, schweißen! Es ist übrigens weder beim Schweißen noch anderswo bisher etwas passiert.
Matthias Grüneisl, der sich als Sozialpädagoge sonst an der Hochschule mit Medien beschäftigt, managt die drei Wochen als Betreuer die tägliche Fernsehsendung MüTiVi. Seine Studenten, erzählt er, muss er ständig ermahnen, mit den Geräten sorgfältig umzugehen. „Muss ich hier nicht“, fügt er strahlend hinzu. Er ist von Anfang an dabei, also seit 30 Jahren „und seitdem ist noch nie was kaputt gegangen. Echt!“
Was ist das, das Echte?
Wir sehen es täglich und es ist nicht übertrieben, dass mein Kameramann Jens Gebhardt und Uwe Winter, der den Ton macht, und ich, dass wir uns an all dem gar nicht satt sehen können. Wir finden es schade, dass das alles am Freitag vorbei sein soll. Wenigsten noch eine Woche würden wir uns wünschen. Vielleicht sogar eine Woche ohne die Kamera. Einfach mitmachen im echten Leben. Echt? Ja! Aber nächste Woche sind wir wieder draußen, im sogenannten echten Leben, von dem die Kinder noch finden, dass sie dort nicht so richtig dabei sind, beim Echten, das es dort wohl geben muss. Bei Mini-München bekämen sie nun für drei Wochen eine köstliche Probe davon. Das Echte entdecken wir Erwachsene eher hier bei den Kindern. Was verdammt, ist nun echt? Vielleicht ist es genau das, was die Kinder in diesen drei Wochen erfahren und das wir bewundern. Etwas eigentlich ganz Selbstverständliches, das nur leider gar nicht selbstverständlich ist, weder im üblichen Leben der Kinder noch bei uns.
Aber hier scheint in der Tat etwas Echtes auf.
Echt ist, wenn die gleichen Kinder, die bizarre Geschichten davon erzählen können, wie es so zu Hause zugeht, wenn sie ihr Zimmer aufräumen sollen, hier morgens am Bauhof aufräumen, Müll sammeln, gucken, ob irgendwo ein Nagel raus ragt. Aufräumen ist morgens das Erste. Vorher geht es nicht los. Es gibt kein Maulen oder Diskutieren und selbst die etatmäßigen Drückeberger sieht man einfach nicht. Echt.
Dabei muss man erwähnen, dass auch die professionellen Aufräumer, die mit Megapinzetten am langen Stil nach Müll greifen, oder mit Fegerollern, wie Rasenmäher mit Bürsten, unterwegs sind oder Mülltonnen leeren, dass die einen bei Mini-München durchaus beliebten Job machen. Das sieht man morgens an den langen Schlangen, wenn die Kinder für Arbeitsplätze anstehen. Je beliebter ein Job, desto länger ist die Morgenschlange. Im nicht so ganz echten, richtigen Leben draußen, wurde Generationen von Kindern, die keine Lust auf die Schule hatten, damit gedroht hat, „dann wirst Du halt Straßenfeger“. Bei Mini-München sind alle Berufe gleichwürdig und interessant, zumindest für einige Zeit, dann merken die Kinder, was ihr Ding sein könnte und was nicht.
Unecht allerdings geht es auf jeden Fall bei der Börse zu, wo einige an einem einzigen Tag einen riesigen Reibach gemacht haben. Alles natürlich immer in der MiMü Währung. Die Profiteure haben anschließend mit dem Geld nur so um sich geschmissen und sich in Kürze unbeliebt gemacht. Das waren vier ältere, vielleicht 14 oder 15 Jungen. (Kinder und Jungjugendliche zwischen 7 und 15 dürfen mitmachen). Die Neureichen haben sich eben mal für ein paar Hunderter eines der am Bauhof in tagelanger Arbeit gebauten Häuschen gekauft. Dann haben sie das Haus von außen mit Geldscheinen tapeziert. Eine Provokation. Sie sollen sogar, wie die MiMüZ, die tägliche Zeitung, und wie auch der hiesige Rundfunk und das Fernsehen berichteten, Geldscheine zerrissen und in die Luft geworfen haben. Das war der Skandal. Und es dauerte nicht lange, da wurde beim Stadtrat ein Demo für Montag 11´30 Uhr angemeldet. Die „Antikapitalismus Demo“. Sie war bei den 2000 Kindern sofort in aller Munde und das Hauptthema in den Medien. „Das ist doch nicht gerecht“, sagen die Einwohner, wenn man in drei Wochen Arbeit weniger verdient, als in einer glücklichen Stunde an der Börse. „Die Reichen werden immer reicher, das geht nicht.“
Die Kinder verdienen in den verschiedenen Gewerken gleich viel, überall fünf MiMüs in der Stunde, wovon ein MiMü als Steuer einbehalten wird. Auch fürs Studieren gibt es diesen Lohn. Die Empörung über die Börsengewinne war groß und echt. Auch das hat etwas mit Lernen zu tun, ohne dass dieses Wort hier bei Kindern irgendwann gefallen ist. Das Wort „Lernen“ kennen sie aus der anderen, der unechten „echten Welt“, als leicht kontaminiert. Man braucht das Wort außerdem gar nicht, wenn man tatsächlich dauernd lernt. Fische bräuchten auch kein Wort für Wasser.
Aber mit der Demo und den Sprechchören „Die Börse vors Gericht“ war es nicht genug. Denn auch das erkannten die Kinder, dass es bei der Mini-München Börse nicht nur um den Kapitalismus geht, sondern auch um eine wohl etwas unglückliche Spielregel. Weshalb dann auch ein Kandidat für die Oberbürgermeisterwahl damit warb, die Börse abzuschaffen. Es gibt in dieser Spielstadt 10 Regeln und diverse Gesetze, Gewerbeordnungen etc. Die zehnte Spielregel heißt: Regeln können geändert werden!
Noch mal zu den Aktien. Sie sind alles andere als echt. Die börsennotierten Firmen sind nur ausgedacht. Die Bewertungen der Phantasieunternehmen per Aktienkursen sind deshalb nicht möglich. Die Kursschwankungen werden einfach nur vom Zufallsgenerator gesteuert. So ist diese Börse nur das, was die echte Börse auch ist, was jene aber nicht nur ist, ein Casino.
Eine schöne Geschichte in diesem Börsenskandal ist, dass die vier Börsengewinnler, die ihr nicht selbst gebautes Haus mit Geldscheinen tapezierten, die Seite wechselten. Man muss dabei erwähnen, dass sie von einigen empörten Betreuern ziemlich zusammen geschissen wurden. Nicht im Spiel sondern in echt. Aber da sie in dieser Woche noch verreisen und nicht bis zum Ende bleiben können und weil sie sich von dem vielen Geld gar nicht so viel kaufen konnten, investierte sie es in die Vorbereitung der Demo und erklärten im Rathaus dem Volk, dass es scheiße sei mit so viel Geld, denn dann mache die Arbeit keinen Spaß mehr und man langweile sich. Und dass die Reichen immer reicher werden und die ordentliche Arbeit an Wert und Würde verliere, das sei doch einfach unmöglch!