PS 10 Führung? Führung! Führung?!!

PÄDAGOGIK – P.S. Reinhard Kahl’s Kolumne

Führung? Führung! Führung?!!

Die Tür doppelt gepolstert und mit Leder bezogen. Im Halbdunkel die fast unnahbare Respektsperson, der Herr Oberstudiendirektor. Schüler betraten den Raum bloß, um sich einen Verweis abzuholen, und auch für Lehrer war er unnahbar. Wie ein Landgerichtspräsident wachte der Direx darüber, dass nichts schief geht.

Führung?

Diese Figur war 1968 zumeist schon so hohl, dass es nicht schwer fiel, sie vom Sockel zu stoßen. Dann folgten Versuche mit der Gremiendemokratie. Schulleiter – immer häufiger auch Schulleiterinnen – wurden Moderatoren. Sie wollten sich am liebsten unsichtbar machen. Lehrer sollten das Gefühl haben, an allen Entscheidungen irgendwie mitzuwirken. Aber eben nur irgendwie. Tatsächlich ziehen Schulleiter, die offiziell keine Macht beanspruchen ihre Fäden im Hintergrund und bereiten das Feld für schwer durchschaubare Seilschaften. Nichts änderte sich daran, dass Lehrer alles in allem Einzelkämpfer blieben und sich häufig wie verbeamtete Freiberufler verhalten. Sie unterrichten zumeist immer noch Fächer und nicht Schüler. Die Tür zum Klassenzimmer bleibt geschlossen.

Gegen diesen Mainstream wird von vielen angerudert. Nach den internationalen Studien über die Schülerleistungen steht der Unterricht im Zentrum. Auch die Bildungsverwaltung sieht ein, dass die unvermeidlichen Veränderungen nicht als Blaupausen fernab in Ministerien ersonnen werden können, um sie dann den Schulen einzukopieren.

Margret Ruep, Präsidentin des Oberschulamtes in Tübingen, eine Vertraute von Annette Schavan, hat jetzt das Konzept der »Lernenden Organisation« auf Schule und Schulverwaltung übertragen. Schulleiter nennt sie »die wichtigsten Gelingensfaktoren.« Sie sollen wie die misslungenen Moderatoren Hierarchien schleifen, aber dann soll keine Leere bleiben. Schulleiter sollten in ihrer Schule »Dialoge in Gang bringen.« Sie seien für die Schule nach außen verantwortlich und müssten ihrerseits die Lehrer für die Leistungen ihrer Schüler verantwortlich machen. Kurz: das Prinzip Rechenschaftspflicht wird eingeführt. In jedem Betrieb ist das selbstverständlich. Aber es ist eine Tatsache: Die meisten Lehrer in Deutschland fühlen sich kaum für Ergebnisse ihrer Arbeit verantwortlich. Zuletzt brachte die Grundschulstudie Iglu ans Licht, dass Lehrer auf die Frage, worin sie Gründe für schlechte Ergebnisse ihrer Schüler sehen, ihren Unterricht an letzter Stelle nannten.

Seufzen

Brandenburgs Kultusminister Steffen Reiche rief in der letzten Woche der Sommerferien die nahezu 1000 Schulleiter des Landes zusammen und ermunterte sie, die Schulerneuerung vor Ort in die Hand zu nehmen. Da ging ein Seufzen durch die Reihen. Auch das noch. Eine fröhlich blickende Frau im Auditorium schüttelte über ihre Kollegen den Kopf. Ulrike Kegler. Sie leitet die staatliche Montessori Gesamtschule in Potsdam und leidet unter der »Infantilität« ihrer Kollegen. Es empört sie, wie verächtlich in Lehrerzimmern über Schüler gesprochen wird. Und auf Schulleiterkonferenzen hört sie ebenfalls die beliebte Frage: Wer hat Schuld? Dabei hatte sie hier endlich Debatten darüber erwartet, was die Schulen denn selbst tun könnten.

Was macht Ulrike Kegler anders? Über Schüler verächtlich zu sprechen ist an ihrer Schule verboten. Das sei die große Ausrede von Lehrern, die sich nicht in die Karten blicken ließen. Aber es macht natürlich keinen Sinn, Lehrer die eigentlich Angst haben und sich selbst überfordern, weil sie alles allein machen wollen, noch weiter in die Defensive zu treiben.

Für einen neuen Typ von Schulleitung, die ihre Schule mit sich selbst ins Gespräch bringt, sie sogar kräftig aufmischt, steht Enja Riegel. Die ehemalige Leiterin der Helene-Lange-Schule in Wiesbaden hat die Abkehr vom Leben im fremden Auftrag vorgelebt. Sie ließ Wände einreißen und schickte Schüler während der Pubertät hinaus ins Leben. Lehrer wurden selbstständiger und arbeiten in Teams. So gewannen die Lehrer Macht. Aber auch die Schulleiterin erweiterte ihre Macht. Diese Art von Macht ist keine Nullsummenspiel. Sie wird nicht verteilt, sondern produziert. Die Philosophin Hannah Arendt schrieb in diesem Zusammenhang: »Macht kommt von mögen.« Im englischen Wort Power erklingt etwas von dieser Gestaltungsmacht, der viele in Deutschland nicht so recht trauen.

Für Ulrike Kegler aus Potsdam hat das Wort Führung inzwischen seinen autoritären Klang verloren. Dabei findet sie Anregungen ausgerechnet bei Wirtschaftswissenschaftlern. Sie zitiert Hans Hinterhuber von der Universität Innsbruck. »Wer gezielt Fragen stellen kann, der führt. Denn er weiß um sein Nichtwissen. Führende, die ihr eigenes Nichtwissen akzeptieren, laden die Mitarbeiter zur Zusammenarbeit ein.«

Führen!

Kegler findet bei dem Wirtschaftsprofessor formuliert, was sie sich nicht zu sagen traute: »Jeder kann ein Führender sein.« Praktisch heiße Führung, andere in ein Feld hinein ziehen, das man selbst gut vorbereitet hat. Auch das alte Wort Respekt ändert seine Bedeutung. Es bedeutet nicht mehr aufsehen, sondern anerkennen. Im Wortsinn: Re-spekt. Es geht darum, wie man zurückblickt.

P. S.

Amerikaner sprechen von Empowerment. Schwer zu übersetzen. Ermächtigung? Sie meinen den Fluss der Macht von oben nach unten. Das sind in Deutschland noch gewöhnungsbedürftige Gedanken.

P.P.S.

Kritik, Zustimmung oder Brainstorming: www.reinhardkahl.de