Mini-München 2 – Das ewige Kind

München, 2. August

Ellen Fritsche ist ein Fan von Mini-München. Schon seit Jahren. Sie spendet und ist dort „Professorin“. Professoren sind die diejenigen, die Vorlesungen oder Kurse halten. Das machen Kinder, Jugendliche, Profis oder jemand wie Ellen Fritsche. Sie ist 88 Jahre alt und ohne Übertreibung, sie  gehört in mancher Hinsicht zu den Jüngsten. Sie interessiert sich schon ihr Leben lang, exakt seit 1945, für Hände. Sie interessiert sich auch für vieles andere. Aber über Hände hat sie ein riesiges  Wissen. Und Hände sind für sie ein mindestens ebenso großes Geheimnis geblieben. Sie ist mit den Händen nicht fertig. Von Händen kann sie was erzählen. Ihre Begeisterung und Neugierde haben nicht nachgelassen. Sie ist eben eine Anfängerin, allerdings eine auf  allerhöchstem Niveau.
„17 000 Fühlsensoren haben wir an unseren Händen.“ Die Kinder staunen. „Aber das kann sich natürlich niemand vorstellen,“ fügt sie gleich hinzu. Deshalb hat sie kleine, einen Quadratzentimeter große Zettelchen ausgeschnitten und an die Kinder ausgegeben. „Auf einem Zentimeter Fingerkuppe gibt es 144 Sensoren.“ Das kann man sich schon eher vorstellen und deshalb auch merken. Frau Fritsche ist eine gute Lehrerin, was sie allerdings nie von Beruf war.

Ständige sind ihre Hände in Bewegung. Sie spricht nicht nur über Hände, sie spricht auch mit ihnen, erklärt wofür wir sie gebrauchen und was sie ausdrücken. Schon im Mutterbauch beginnt dieses Spiel und für das Baby sind dann die Finger das erste Spielzeug. Wie wunderbar in diesem Organ Tätigkeit und Wahrnehmung  zusammen liegen. Was wären wir ohne Hände? „Das müsst ihr euch mal vorstellen“, verlangt sie. Pause. Konzentration und Ruhe. Wache, nachdenkliche und dabei schöne Gesichter. Dann fordert sie die Kinder auf ihren Puls zu fühlen. „Was, Du fühlst  keinen?“ fragt sie mit superkräftiger Stimme.“Das ist ja furchtbar, dann bist du tot“. Aber tot ist hier natürlich niemand. Auch nicht so scheintot wie sonst häufig im Unterricht. Ellen Fritsche ist einfach ansteckend vitalisierend. Sie erinnert an Albert Einsteins Antwort auf die ihm gestellte Frage, wie er denn all das herausfinden und entdecken konnte. Er sagte: Weil ich immer das ewige Kind geblieben bin. Natürlich ist bei Albert Einstein und bei Ellen Fritsche sonnenklar, dass dieses ewige Kind nichts mit Infantilität zu tun hat. Im Gegenteil. Gelungene Erwachsene – im Unterschied zu den vielen Verwachsenen – haben nicht nur ihre Urteilskraft entwickelt, sie bieten diesem ewigen, inneren Kind Schutz. Sie haben dieses Kind nicht abgetrieben. So bleiben sie der immer wieder staunende kleine Anfänger, allerdings auf den Schultern der gesammelten Erfahrungen und ihres Wissens. Je mehr sie wissen haben solche Erwachsene nicht weniger, sondern immer mehr Fragen. Das macht eine Ellen Fritsche oder einen Einstein mit den Kindern so verwandt. Die Kinder spüren diese Verwandtschaft sofort.

Kinder brauchen solche Erwachsene. Viele!

Wie bei Mini-München die Kinder und die Erwachsenen zusammenwirken, will ich in den drei Wochen weiter verfolgen.

Jetzt noch mal kurz zu Ellen Frische. Als ihr Vater, General von Richthofen, 1945 starb, wurde sie von einer Kleinstadt in Norddeutschland zu Freunden der Eltern an den Tegernsee geschickt. Sie hatte kein Abitur und keine Ausbildung. Als sie hörte, es gebe in den Münchner Mode-Ateliers keine Handschuhe, hat sie gesagt: „Dann mach‘ ich es halt“. Bald lief ihr Handschuh-Betrieb. Aus dieser Zeit stammt ihre Liebe zu den Händen. Mehr über diese tolle Frau erfährt man hier: http://www.sueddeutsche.de/muenchen/hauptamtlich-ehrenamtlich-in-guten-haenden-1.2858532

Und mehr über Mini-München die nächsten Tage auf diesem Blog.