Über allen Wipfeln ist Jauch….
Was steckt hinter dem Boom von Quiz-Shows im Fernsehen
Von Reinhard Kahl
SWR Matinee
Kein Tag mehr ohne Fernsehquiz. Auf irgendeinem Kanal wird an jedem Abend gefragt, geantwortet oder geraten. Wer hätte das vor ein paar Jahren gedacht? Quiz? Das schien doch ein Überbleibsel aus der schwarz-weißen Gründerzeit des Mediums! Heute ist es der Quotenbringer.
Was reizt das Publikum daran? Und worin besteht eigentlich das Programm hinter diesem Programm? Ist es Nostalgie? Geht es um Reminiszenzen ans alte Fernsehen, als bei Frankenfelds, Rosenthals und Kuhlenkampfs ein halbwegs übersichtlicher Wissenskanon abgefragt und damit auch rituell bestätigt wurde?
Oder wird ein neues Ritual der aufziehenden Wissensgesellschaft zelebriert, in der jeder etwas anders weiß und in der es darauf ankommt, sich und sein Wissen so teuer wie möglich zu verkaufen?
Diese These klingt bestechend. Die Konjunktur der Wissensshows im Fernsehen signalisiere eine mentale Wende: Das Ende der Spaßgesellschaft. Nun werde es ernst. Es gehe wieder um was. Wissen sei die harte Währung für künftige Lebensunternehmer. Der neue Rohstoff. Und so weiter. Dieter Hildebrandt lästert: „Über allen Wipfeln ist Jauch, warte nur, bald jauchest Du auch.“ Günther Jauch hält demnach den Feldgottesdienst vor dem Börsengang, der in der Wissensgesellschaft für Jedermann obligatorisch wird. Man setzt, was in der Birne ist, ein, um damit zu spekulieren. Bluffen ist erlaubt, auch raten oder mal den Joker ziehen. Aber am Ende wird abgerechnet oder der IQ wird direkt gemessen, wie beim bekannten deutschen Intelligenzsender RTL schon mehrfach geschehen. Jeder dritte Apparat war da zuweilen eingeschaltet.
Man muss sich die Inszenierung dieser Sendungen genau ansehen. Alle Akteure blicken in die Tiefe des Flachbildschirms. Nichts mehr von den wechselnden Kulissen eines laufenden Bandes wie einst zum Beispiel bei Rudi Carell. Die heutigen Szenen erinnern an eine Prüfung. Aber es ist eine Prüfung ohne Prüfer. Denn so streng das Setting in der Arena auch ist, so versöhnlich gibt sich der Talkmeister. Es ist der Magier einer besänftigenden Botschaft: „Ist ja alles nur halb so schlimm.“ Er tut keineswegs allwissend. Er ist beileibe kein Oberlehrer, den allerdings auch im alten Quiz ein Hans-Joachim Kuhlenkampf nur augenzwinkernd spielte. Bei Günter Jauch hat man den Eindruck, als müsse er ständig seinen Drang bändigen, die Kandidaten an die Hand zu nehmen, um sie zur richtigen Antwort zu führen.
Jauchs Kollege Jörg Pilawa spielt die Kumpelrolle vollends aus. Ist Jauch der ideale Schwiegersohn, so ist Pilawa der nette Junge von nebenan. Immer einen Schalk um den Mund. Die Parteilichkeit für den Kandidaten geht bei ihm noch weiter. Am liebsten würde er ständig vorsagen. Im Trailer zu einer seiner Sendungen sagt er zu einer Kandidatin, „am liebsten hätte ich für Sie die Spielregeln geändert.“ Aber über die Regeln ist niemand im Studio mächtig. Das Format ist das Gesetz. Das Format ist nicht nur eine Spielregel. Das Format repräsentiert die Unerbittlichkeit der Welt, in der man gewinnen kann, aber gewöhnlich irgendwann scheitert. Der Moderator setzt gegen diese unsichtbare Macht den tröstenden Kontrapunkt: „Hätte ich vielleicht auch nicht gewusst.“
Am Ende zählt weniger das Wissen als die Performance. Gewiss, für die Kandidaten ist das Wissen wichtig und natürlich geht es auch um den erhofften Geldgewinn. Doch der Wunsch nach Anerkennung und der Kampf um die knappe Ressource Aufmerksamkeit ist die oberste Instanz. Sie liegt über dem Wunsch als Wissensbesitzer zu glänzen oder als Geldbesitzer nach Hause zu gehen.
„Der moderne Mensch will nicht mehr in den Himmel kommen, sondern ins Fernsehen,“ sagt der Philosoph Odo Marquard. Die Wissensshow ist eine Himmelspforte. Das demokratische Versprechen lautet: Auch wer nicht prominent ist, hat Zugang. Aber erst mal wird jeder auf sein Wissen hin geprüft.
Nur, was wird unter Wissen verstanden? Wie wird es hier definiert? Der so genannte Wissenskanon, das also, was man wissen sollte, war in der Frühzeit des Fernsehens fester gefasst. Heute ist im Prinzip jede Frage möglich, ja ihr Gegenstand ist im Grunde irrelevant. Es kommt auf den Schwierigkeitsgrad an. In der ersten Quizkonjunktur kamen die Fragen noch aus einem verbindlichen und Menschen verbindenden Inventar. Über ihm hätte die Überschrift stehen können: „Was wichtig ist“. Eine Sendung hieß auch, „Was man weiß, was man wissen sollte.“
Ein gutes Beispiel ist Hans Joachim Kuhlenkampfs Show „EWG“. Sie startete 1964. EWG war zugleich die Abkürzung für die Sendung „Einer wird gewinnen“ und für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Das zusammenwachsende Europa war gewissermaßen das Curriculum, der Lehrplan dieser Sendung. Fernsehen war immer schon Unterhaltung. Aber wie Kunst am Bau gehörten ein paar Prozent Bildungskanon dazu. Am abzufragenden Wissen klebte noch der Stundenplan. Geografie, inklusive Land und Leute, war das Hauptfach. Manchmal ging es sogar noch um die Hauptstadt von Irgendwo. Unter „ferner liefen“ rangierten die Naturwissenschaften. Häufiger kamen Fragen aus Literatur, Theater, Oper und Operette dran. Ein mehr oder weniger fest umrissenes Weltwissen gab den Rahmen.
Und heute? Das Wissen ist eher amorph, tatsächlich ein Rohstoff. „Was ist eine Mansure“? So klingen letzte Fragen, wenn es zum Schluss um sehr viel Geld geht. Mansure ist dafür geeignet, weil sie praktisch niemand kennt. Die Funktion der Frage liegt nicht mehr im Verbindenden und Verbindlichen des Kanons, sondern im Trennenden. Mit dem Trennenden wird offenbar ein modernes Erfahrungsmuster getroffen. Kandidaten müssen sich – in der Show wie im richtigen Leben – als Betriebswirtschaftler ihrer selbst zu Markte tragen. Sie müssen sich unterscheiden. Dabei agieren sie in der Nähe des Scheiterns. Das ist – psychoanalytisch gesprochen – die Szene, die im Studio, bzw auf dem Bildschirm, immer wieder durchgearbeitet wird. Solch unbewusste Material ist für endlose Serienformate natürlich höchst willkommen – nur noch übertroffen vom Thema der Themen, von der Liebe. Und wer an die Langzeitwirkung dieses Durcharbeitens nicht glaubt, bekommt sofort milde Worte en masse vom Moderator.
Die auf den Wissensmärkten umher Getriebenen finden am Flackern des elektronischen Kamins zu Hause ihr Beruhigungsritual. In diesen Sendungen jedenfalls ist keine Morgendämmerung einer neuen Wissensgesellschaft in Sicht. Am fröstelnden Abend der Industriegesellschaft lässt man Sicherheit und Besitz noch mal hochleben.
Tatsächlich wird das Wissen in der so genannten „Wissensgesellschaft“ unsicherer, aber auch flüssiger und interessanter. Wissen über Atomkraft oder Klimawandel ist nicht eindeutig. Schon deshalb beunruhigt es. Und im Alltag machen uns Gebrauchsanweisungen etwa für das neue Telefon oder für den Bordcomputer im Auto ständig wieder zu Anfängern.
In einer stabilen – oder vermeintlich stabilen Wissenslandschaft leben die Zeitgenossen nicht. Der Soziologe Nico Stehr, einer der Erfinder der Terminus „Wissensgesellschaft“ spricht aus diesem Grund inzwischen lieber von einer „zerbrechlichen Gesellschaft“. Seine Analysen zeigen, wie das Wissen seine ihm lange Zeit zugeschriebene Eindeutigkeit und Autorität, die ihm im Quiz noch mal ohne Einschränkungen zuwachsen, im Alttag ebenso verliert, wie in der Politik, in der Wissenschaft, auch in der Wirtschaft.
Keine große Wahrheit spannt sich mehr wie ein Zelt über die Dinge. Wissenselemente werden nicht mehr von oben nach unten abgeseilt. Das Wissen verliert seinen dinglichen Charakter. Dabei zeigt sich auch, dass das feste Wissen häufig ein Prothese war. Das zerbrechliche Wissen ähnelt nun mehr Knoten in unseren Handlungssträngen. Wir knüpfen sie selber. Dass dieses Wissen weniger Halt gibt, ist ambivalent. Jeder muss mehr inneren Halt entwickeln und ist auf mehr Vertrauen anderer angewiesen. Nico Stehr spricht deshalb auch von der „Stagnation der Macht“ und von den „Chancen des Individuums“.