NDR Kultur Pisa-Masochismus?

Reinhard Kahl  NDR Kultur – Pisa-Masochismus?

 

Pisa war in Deutschland der BSE-Fall für die Bildung. BSE heißt hier: Bildungs-Skandal-Erreger. Die Aufregung hielt lange an. Schließlich sitzt dieser Erreger ja nicht in den Hirnen einiger Rinder, die man schlachten und verbrennen kann. Befallen war und ist das kulturelle Gedächtnis, gewissermaßen das Hirn der Gesellschaft.

 

Aber nun klingt diese Erregung ab und das ist auch gut so. Es kommt jetzt auf eine andere Haltung an, auf einen – sagen wir – subversiven Konstruktivismus. Und da tut sich einiges in den Schulen. Wenn sich auch die Bildungspolitik häufig in ihrem Standardtanz „Einen Schritt vor und zwei zurück“ übt, so gibt es geradezu eine Gründer- und Umgründer – Stimmung in der Schulszene. Gewiss nicht in allen Schulen.

 

Und da kommt nun was dazwischen – oder kommt es gerade recht?

Der UN-Kommissars Vernor Muñoz, hat seinen  Besuch angekündigt. Er überprüft die Menschenrechte in Schulen. Aber, wie gesagt, der Besuch ist erst angekündigt, noch war der Professor aus Lateinamerika gar nicht da, es gibt keinen Bericht, aber schon wieder flackert der deutsche Bildungskrieg auf, der letzte Religionskrieg, der uns geblieben ist. 

 

Bundesbildungsministerin Annette Schavan spricht von einem Paradigmenwechsel in der Bildung und dass sich das deutsche Bildungswesen in seiner tief greifendsten Reform seit 50 Jahren befände. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft beharrt darauf, dass Chancengleichheit in kaum einem Land so sträflich verletzt würde, wie bei uns. So kann man natürlich hin und her hacken, wo doch beides stimmt, die Diagnose des Skandals und seine beunruhigende und verändernde, am Ende sogar konstruktive Wirkung.

 

Aber nein. Das geliebte Entweder-oder-Spiel wollen viele nicht lassen. Dass etwas auch in Deutschland gelingen könnte, das ist für manch einen der allergrößte Skandal und zuweilen eine Anfechtung für stabile Weltbilder, in denen die Probleme unsere engsten Freunde geworden sind und man ohne sie einfach fruchtbar einsam wäre. Dieses: Das „Geht doch sowie nicht“ löst innigste Déjà-vu-Gefühle aus. Eine gewisse Misanthropie ist der Kern der deutschen Bildungskrise. Schüler kennen das. Dieses klein machen. Das Beschämen. Für viele Menschen ist der misanthropische Sound gleichbedeutend mit Schule. „Auf dich haben wir gerade noch gewartet… Du wirst Dich noch wundern… Ich wundere mich schon über gar nichts mehr…“.

 

Könnte es denn sein, dass dieses Kleinmachen bei manch einem ein Verhältnis zu sich selbst geworden ist? Mancher Kommentar klingt irgendwie erwartungsvoll, als solle uns der UN Kommissars das Attest bringen, dass unserer Schulen unheilbar krank sind – bitte alles ganz eindeutig und wehe, wehe, da wird noch etwas anderes entdeckt. 

 

Kann es denn sein, dass es manchen gar nicht schlecht genug kommen kann, wenn die miese Diagnose wenigstens dazu verhilft Recht zu behalten?  Soll die notwendige Pisa-Erregung nun in einem Anfall von Pisa-Masochismus auf Dauer gestellt werden? 

 

 

Das Problem ist doch: Wir werden in Deutschland solange nicht viel mehr gute Schulen haben, wie wir sie uns gar nicht vorstellen können. Es wird Zeit etwas mehr ins Gelingen verliebt zu sein. Warum nur fällt uns das so schwer?