DRadio Politisches Feuilleton: Lehrer

Reinhard Kahl – DRadio Kultur – Politisches Feuilleton

Die Besten sollten Lehrer werden!

   

Wer verstehen will, welcher Wandel sich für unsere Schulen andeutet, muss ins Kino gehen. Da sind Lehrer seit einiger Zeit Helden. Nichts mehr von wegen Pauker. Leidenschaftliche Erwachsene. Keine Unterrichtsbeamten.

 

Es begann mit dem französischen Dokumentarfilm „Sein und Haben“ über den Dorfschulelehrer Monsieur Lopez, der Kinder und nicht Fächer unterrichtet.

 Nach diesem verblüffenden Renner in den Kinos kam aus den Studios jenseits des Rheins der Spielfilm: „Die Kinder des Monsieur Mathieu“. Der neue Lehrer verwandelt das deformierte Internat von einem Kriegsschauplatz im Kampf der Generationen in einen wunderbaren Chor.

 

 In Schweden haben von den 8 Millionen Einwohnern mehr als zwei Millionen den Film „Wie im Himmel“ gesehen. Auch der läuft bei uns seit Monaten. Hier geht es um einen Lehrer auf den zweiten Blick. Der weltberühmte Dirigent Daniel Dareus erleidet auf der Bühne einen Zusammenbruch, steigt aus, mietet in seinem Heimatdorf die Alte Schule und übernimmt den Kirchenchor. Die Geschichte dieses Films läuft auf eine Formel vom gelungenen Leben hinaus: Jeder soll seinen besonderen, einzigartigen Ton finden und mit anderen zusammen singen! Individualität und Gemeinschaft!

 

Und auch in Deutschland werden Filme gedreht, die das große Publikum mit einer anderen Idee von Bildung erreichen und berühren. Der Dokumentarfilm „Rhythm Is It“ läuft und läuft in den Kinos. Wieder  – und das kann jetzt kein Zufall mehr sein – sind Musik und Bewegung das Metier zwischen den Schülern und einem ansteckenden Lehrer. Der Lehrer ist hier ein Choreograph. Er heißt Royston Maldoom, ist Engländer und kann sich derzeit in Deutschland gar nicht vor Einladungen retten.

 

Der Film „Rhythm Is It“ zeigt Ballettproben mit Teenagern für eine Aufführung der Berliner Philharmoniker von Stravinskis „Le Sacre du Printemps“. Der Fokus liegt auf einer Gruppe von Hauptschülern, Jugendlichen also, denen man gemeinhin wenig zutraut. Da gibt es eine Schlüsselszene. Der Choreograph empfiehlt einigen dieser Schüler auf einer Ballettschule weiter zu machen. Sie hätten das Zeug dazu. Daneben steht deren freundliche, aber grundbesorgte Lehrerin und interveniert: abends noch allein, im Dunklen mit der S-Bahn nach Wilmersdorf?

Plötzlich wird deutlich, welchen Unterschied es macht, ob ein Lehrer wie dieser Choreograph die Botschaft sendet, „Kommt, ihr seid gut, in Euch steckt viel mehr als ihr selbst glaubt; diese Talente wollen wir herausfordern!“ Oder ob die Lehrperson, dieses Potential eher anzweifelt, und den Schülern eine Art Opfergemeinschaft gegen die Welt anbietet, sie eben nicht heraus-fordert. Sind defensive Lehrer den Zynikern, die Schülern ihre Potentiale absprechen und Kinder beschämen, nicht verwandter als man denkt?

 

Dagegen die Botschaft eines Royston Maldoom. Er sagt: Ich habe in 30 Jahren noch nie, sei es bei traumatisierten Kindern in Bosnien, bei Grundschülern in London oder in einem Jugendgefängnis jemanden getroffen, der nicht tanzen kann. Kürzlich fügte er bei einem Vortrag auf einem Bildungskongress hinzu: Sollte es Lehrer geben, die nicht glauben, dass jeder ihrer Schüler lernen will und kann, dann sollten diese Erwachsenen die Schwelle zum Klassenraum nicht übertreten. Ein Satz der sitzt. Aber alles hängt davon ab, ob er von einem Royston Maldoom ausgesprochen wird oder in einem Lehrer-Hasser-Buch steht, in dem die notwendige Kritik an Lehrern den Zirkel von  Entwertung und Beschämung weiter ziehen.

 

Die Frage lautet heute doch: Wie kann man diesen Zirkel verlassen? Das ist auch die Frage danach, wer wird eigentlich Lehrer? Wie werden die Lehrerinnen und Lehrer vorbereitet? Wie sehen wir, die Gesellschaft, die Lehrer? Wie schaffen wir es, dass auch bei uns nicht die Ratlosen, sondern die Besten und vor allem die Leidenschaftlichen diesen Beruf ergreifen? Dass dieses möglich ist, zeigen die Finnen, wo – je nach Hochschule – zwischen sieben und zehn Bewerber auf einen Studienplatz für das Lehrerstudium kommen, obwohl die Pädagogen viel schlechter bezahlt werden als bei uns. Aber der Beruf ist respektiert und die Schüler habe eine Schule in Erinnerung, in der sie ihrerseits respektiert worden sind. Dieser Zirkel bildet eine Aufwärtsspirale.

Wir bewegen uns in Deutschland heute dazwischen. Auf der einen Seite die bekannten Abwärtsspiralen, wenn sich Lehrer, Schüler und auch Eltern wie Feinde behandeln. Auf der anderen Seite verbreiten sich jetzt Bilder aus solchen Filmen wie „Rhythm  Is It“ wie eine ansteckende Gesundheit. Dass diese Erreger des Gelingens wirken, zeigen Schulen, die sich erneuern. Die nicht nur Methoden auffrischen. Das Gelingen ist vielleicht immer noch der größte Skandal in Deutschland. Aber wenn die Ideen, ja die Haltung eines Royston Maldoom junge Menschen infizieren und genau diese sich entschließen Lehrer zu werden –  das wäre doch schon mal was. Man dürfte sogar das Wort Vorbild – ganz vorsichtig – wieder gebrauchen.