Schulen, die gelingen

Schulen, die gelingen

Von Reinhard Kahl

 

Nun sollen die Schulen selbstständig werden. Manch einer sagt „eigenständig“. Alle sind dafür. Wie schön. Aber was versteht man eigentlich darunter? Jeder etwas anderes. Die nun fällige Diskussion, was denn wohl eine selbstständige Schule sein soll, ist noch nicht entbrannt. Stattdessen wird im Apparat wieder der Krebsgang geübt, eine Fortbewegungsform, auf die man sich dort versteht. So muss der Schulleiterverband in Niedersachsen feststellen: „Wir können nicht erkennen, worin die größeren Kompetenzen der Schulleiter und der einzelnen Schule bestehen sollen.“ Denn in pädagogischen Dingen, etwa der Frage, von welchem Alter an es Zensuren geben sollte oder ob alle Klassen genauso groß sein müssen oder ob es vielleicht im Ergebnis ein Vorteil sein könnte mehr Theater zu spielen und weniger Fachunterricht zu geben, wie es die legendäre Pisa-Siegerin, die Helene-Lange-Schule in Wiesbaden vormacht, an diesen interessanten und entscheidenden Punkten endet die groß angekündigte Selbstständigkeit. Zu Recht fragen sich die Schulleiter, worin denn eigentlich das „Selbst“ in dem Wort Selbstständigkeit bestehen soll?

 

Wenn Selbstständigkeit nur bedeutet, dass jetzt die alten Gäule, die bisher die pädagogischen Kutschen gezogen haben, durch den zivilisationsüblichen Ottomotor ersetzt werden, dann ist das natürlich ein Fortschritt. Es gibt bestimmt mehr PS. Aber die Frage, die langsam auf den Nägeln brennt, ist doch, wer lenkt den Wagen? Wohin soll es denn gehen? Haben wir überhaupt aktuelle Landkarten, auf denen Wege in die Wissensgesellschaft schon eingezeichnet sind? Oder braucht man so was in der Lehrplanwirtschaft gar nicht? 

 

Es sieht wieder mal so aus, als würde der Mut der Kultusminister nur bis zur technokratischen Prozesserneuerung reichen. Schulen erledigen ihre Bürokratie nun selbst. Nicht mehr jeder Radiergummi muss beantragt werden. Diese Art von Pseudoeigenständigkeit empfindet man in den Schulen als Täuschung. So steigt der Unmut. Misstrauen nimmt noch zu. Leider häufig auch der Rückzug. Wirkliche Selbstständigkeit, wie es die schulisch erfolgreichen Ländern von Neuseeland über Kanada bis nach Finnland vormachen, setzt ja vor allem Vertrauen in die Schulen voraus. Daran scheint es bei uns zu fehlen.

 

In Finnland wurde die Schulaufsicht völlig abgeschafft. Regelmäßige Tests, weniger der Schüler als der Schule, sagen ihr, wo sie steht. In Schweden wurde die Aufsichtbehörde Ende der 80er Jahre, wie man dort sagt, geschlachtet. Jede Schule hat ihren Etat, stellt Lehrer ein und handelt Gehälter aus. 

 

Auch in deutschen Schulen tut sich mehr als irgendwann in den vergangenen Jahrzehnten. Eine Umgründer- und Gründerszene, von der Öffentlichkeit noch gar nicht richtig wahrgenommen, wächst. Bei den Umgründern sind es mehr die Lehrer, bei den Gründern mehr die Eltern. Nehmen wir Hamburg als Beispiel. Hier geht ein halbes Duzend freier, privater Bürgerschulen an den Start. Sie fangen mit  jahrgangsübergreifenden Klassen an, weil es eben Kinder gibt, die bei der Einschulung schon schreiben können und andere, die Zeit brauchen werden und dann vielleicht plötzlich einen Sprung machen. Man erinnere sich, Einstein gehörte zu den wenigen Kindern, die mit Drei noch nicht sprechen konnten.

 

Überall in Deutschland sind neue Schulen im Aufbau und eine ganze Reihe staatlicher Schulen ist in Umgründung. Sie alle wollen einen Ort kultivieren, an dem das Lernen für die Kinder und Jugendlichen eine Vorfreude auf sie selbst wird. Sie wollen eine Atmosphäre schaffen, in der Lernen als das große Projekt des eigenen Lebens gewagt werden kann. Sie brechen mit dem Status nur Untermieter im System zu sein. In einer Schule, die sich als lernende Organisation versteht, wird man die Parole der Infantilgesellschaft, „das hat meine Mutter nun davon, wenn ich friere“ endlich aufgeben. Wie viele Schüler und auch Lehrer betrachten doch das, was sie in der Schule machen, gar nicht als die eigene Sache? Die Lust und die Souveränität, selbst lernen zu wollen, geht ihnen dort verloren. Dann geht man zur Schule wie zum Zahnarzt. Hitzefrei wird bald die beste Nachricht. 

 

Wenn diese Schulmüdigkeit auch noch verbreitet ist, so gibt es mehr und mehr Schulen, die gelingen. Sie nehmen für sich in Anspruch, woran sie keine Bürokratie mehr hindern kann: Eine eigene Biographie zu haben. An der eigenen Geschichte anzuknüpfen. Eigene Probleme zu haben, die man selber lösen will, gewiss manchmal mit fremder Hilfe. Eigentlich beginnt der Prozess der Selbstständigkeit genau damit: Seine Probleme als die eigenen zu betrachten! Aus Schwierigkeiten den Funken von Ideen und Visionen zu schlagen! Probleme sind ein biographisches Kapital. „Problems are our friends,” sagt Michael Fullan, Erziehungswissenschaftler und Change-Theoretiker aus Toronto. Damit wies er den überaus erfolgreichen kanadischen Schulen den Weg. Dort kann man auch lernen, dass Selbstständigkeit Gegengewichte braucht. Vertrauen, Freundlichkeit, Zusammenarbeit und viel Austausch, vor allem ein fehlerfreundliches Klima. Denn so ist es nun mal, gelingen kann nur das, was auch schief gehen darf.

 

Wer’s nicht glaubt, soll es machen wie die Stipendiaten der Friedrich-Naumann-Stiftung, die Anfang des Jahres gelungene Schulen besucht haben. Die ansteckende Gesundheit, die von solchen Schulen ausgeht, hat sie alle infiziert und einer will jetzt eine Schule gründen.