Royston Maldoom – Botschafter aus der tätigen Welt

Royston Maldoom – ein Botschafter aus der tätigen Welt 

Von Reinhard Kahl

 

Noch nie,“ sagt Royston Maldoom, „habe ich jemanden getroffen, der nicht tanzen kann.“ Seit 30 Jahren arbeitet er mit Kindern und Jugendlichen. Ob Straßenkinder in
Äthiopien, traumatisierte Jugendliche aus Bosnien oder behütete Schüler in Mitteleuropa, ganz egal, sagt er, „jeder hat das Potenzial zum Künstler.“ Wenn der Choreograph eine neue Gruppe trifft, ist er sich ganz sicher: „Sie werden gemeinsam mit mir großartiges Theater schaffen.

Ein Zauberer? Ein Originalgenie? Gar ein Verführer? Nein. Wir erleben etwas Selbstverständliches, etwas woran allerdings viele Erwachsene, leider auch Lehrer, nicht so recht glauben: Dass jedes Individuum ein einmaliges Potential hat. Dass es dieses herauszulocken gilt. Dass jeder, so wie er laufen und sprechen gelernt hat, auch tanzen kann. Und zwar auf seine besondere Weise. „Sie tanzen graziös,“ sagt Maldoom, „wenn es gelungen ist, die Blockaden zu beseitigen.“ Diejenigen, die bei solchen Worten den Kopf schütteln, finden in ihrem Alltag ständig Gegenbeweise. Schöne Schwärmereien, meinen sie, vielleicht etwas für aufwendige Vorzeigeprojekte, aber nichts für uns. Nach Aufführungen mit ihren Schülern kommen diese skeptischen Pädagogen häufig zu Maldoom und können gar nicht fassen, was ihre Schüler alles können. „Das hätten wir nie geglaubt,“ sagen sie ihm. Sein lakonische Kommentar: “Jetzt wissen Sie ja, wo die eigentliche Ursache liegt.“

Maldooms Geheimnis ist keine ausgetüftelte Methode. Natürlich muss der Choreograph ein Meister seiner Kunst sein. Das Entscheide ist etwas anderes: „Sobald man den Raum betritt, wissen die jungen Leute, ob sie einem vertrauen können oder nicht.“ Vertrauen verwandelt. Nicht nur die Kinder und Jugendlichen. Maldoom erlebt es an sich selbst, „wie diszipliniert und konzentriert man dann sein kann und wie weit die Kids einem darin folgen.“ Für Vertrauen haben sie feinste Sensoren. „Fühlen sie nur einen Augenblick, dass man nicht an ihr Potenzial glaubt, so wird man ein Teil der Welt, die sie nicht respektiert und sie fallen sofort auf ihre Meinung zurück, Versager zu sein.“  Viele Erwachsene, ergänzt er, dächten genauso schlecht von sich.

Ob Vertrauen oder Misstrauen dominiert, prägt eine Kultur in ihrem Kern. Nirgendwo wird das so offensichtlich wie im Verhältnis der Generationen. Wie kommt es bloß, dass es hierzulande immer noch selbstverständlich zu sein scheint, dass Schüler ihre Lehrer als Feinde ansehen? Warum suchen viele Lehrer bei ihren Schülern weniger nach Talenten als nach denjenigen, die angeblich nicht in ihre jeweilige Schulform passen? Wieso hält sich die Unsitte, Kindern mit dem späteren Leben zu drohen, statt sie jetzt dazu einzuladen?

Nach dem Erfolg des Films „Rhythm Is It!“ kann sich Royston Maldoom vor Einladungen aus Schulen kaum retten. Es ist als hätten viele nur darauf gewartet, dass jemand ein paar der positiven Gedanken ausspricht, mit denen sie hadern. Im Film gibt es dafür eine Schlüsselszene. Maldoom empfiehlt einigen der Hauptschüler, mit denen er arbeitet, auf einer Ballettschule weiterzumachen. Sie hätten das Zeug dazu. Da mischt sich deren freundliche, aber grundbesorgte Lehrerin ein. „Abends im Dunklen“, fragt sie,  „alleine mit der S-Bahn noch nach Wilmersdorf?“ Senden Pädagogen solch kleinherzige Botschaften oder sagen sie, kommt her, ihr seid gut, in Euch steckt viel mehr als ihr selbst glaubt, das wollen wir herausholen? Ob Lehrer Potentiale ihrer Schüler zynisch in Abrede stellen, oder ob sie ihnen eine Opfergemeinschaft gegen die Zumutungen der Welt anbieten, macht vielleicht nur einen kleinen Unterschied.

Ich bin sehr streng.“ Auch dieser Satz gehört zur Begrüßung mit der Maldoom einen Kurs beginnt. Nun wird der Tanz das allerwichtigste. Es gelten klare Regeln. Der Tanz ist wie eine Sprache. Sie öffnet eine neue Welt, aber nur in dem Maße, wie diese Sprache gelernt und beherrscht wird. Disziplin muss sein. Aber nicht ohne Leidenschaft. „Ich spreche nicht von Bildung, sondern von Erwachsenen, die ihre Leidenschaft und ihre Erfahrung mit Kindern teilen.“ Deshalb ist Royston Maldoom dafür, Künstler an Schulen zu holen und fügt gleich hinzu, „auch Tischler oder Geschäftsleute, egal ob es um Geografie oder Mathematik geht, Kommunikation läuft über Leidenschaft.“

Kinder und Jugendliche, mit denen Royston Maldoom arbeitet, erleben ihn als Botschafter aus der tätigen Welt. Nach der haben sie die allergrößte Sehnsucht.

Alle Zitate von Royston Maldoom stammen aus einem Vortrag, den er am 25. Oktober 2005 beim McKinsey Bildungskongress in der Staatsoper Unter den Linden gehalten hat. Eine Videodokumentation seines Vortrags gibt es auf der DVD „Die Entdeckung der frühen Jahre – Die Initiative McKinsey bildet. Zur frühkindlichen Bildung.“ 2 DVDs und 120 Seiten Booklet. 26 €. Zu beziehen über www.archiv-der-zukunft.de oder im Buchhandel über den Beltz Verlag.