DIE WELT 1. 4. Kathedralen der Stadtteile

Welt 1. 04. 2008

Hamburgs Schulen: Kathedralen der Stadtteile


von Reinhard Kahl

Heute kommt bei den Koalitionsverhandlungen in Hamburg die Bildung dran. Dieses bevorzugte Schlachtfeld für Kultur- und Politikkämpfe. Im mehr als 30-jährigen Bildungskrieg wurde immer wieder das Entweder-oder-Schisma inszeniert. Gesamtschule oder dreigliedriges System. Lust oder Leistung. Spiel oder Anstrengung. Könnte Schwarz-Grün Frieden bringen? Möglich.
Bei den Sondierungen wurde bereits ein Rahmen gesetzt. Kinder sollen bis zum Ende des sechsten Schuljahres zusammenbleiben. Außerdem wird ein Vorschuljahr eingeführt. Jede Schule soll für den Bildungsweg ihrer Schüler verantwortlich werden. Durch „Querversetzen“, zum Beispiel vom Gymnasium zur Realschule, könnten Schulen die schwierigen Schüler nicht mehr einfach loswerden. Das hatte die CDU schon in dem noch vom alten Senat verabschiedeten Plan für ein zweigliedriges System aus „Stadtteilschule“ und Gymnasium so festgelegt.
Aber die sechsjährige Grundschule macht ganz pragmatische Probleme, zumal wenn noch eine Klasse null, die Vorschule, dazukommt. Dafür reichen in den Grundschulen zumeist die Räume nicht. Nun überlegen die Grünen, ob Grundschulklassen nicht schon früher in die weiterführenden Schulen wechseln können, wenn die Kinder zusammenbleiben. Das findet auch die CDU nicht schlecht. Schulen, die bereits kooperieren, könnten „Tandemschulen“ bilden und zu Schulnetzen zusammenwachsen. Andere würden überhaupt erst mit der Kooperation beginnen. In diesem Prozess würde es immer mehr auf die einzelne Schule ankommen.
Die Amerikaner nennen so etwas Empowerment. Ermächtigung der Akteure. Was man als entscheidungsschwachen Ausweg kritisieren wird, könnte sich tatsächlich als neuer Weg erweisen.
Der Anspruch der Grünen, die „Basis“ stärker einzubinden und die subsidiäre Option der CDU, nicht dem Staat zu übertragen, was vor Ort gemacht werden kann, diese Schnittfläche ließe sich kultivieren und mit der schwarz-grünen Vision von der „kreativen Stadt“ verbinden. Sollten Schulen nicht Knoten in diesem Kreativnetz werden? Könnten Sie nicht zusammen mit engagierten Handwerkern, Unternehmern und Künstlern etwas anfangen, das keiner Politik von oben gelingen wird: Schulen zu den Kathedralen ihres Stadtteils zu machen? Jede Schule hätte einen Namen und eine Biografie. Jede hätte ihre Vergangenheit und eine Zukunft, als diese besondere Schule, nicht als geklontes Exemplar einer Gattung.
Der Autor ist Bildungsexperte und Filmemacher in Hamburg