taz Kinder

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09.08.2013

Kein Platz für Kinder
ERZIEHUNG Seit dem 1. August gibt es das Betreuungsgeld. Kinder werden immer weniger rausgelassen. Dabei bieten sich da neue Erfahrungswelten

Dass man auf die Idee kommt, nach Orten für Kinder zu fragen, ist historisch neu. Es ist noch nicht lange her, da war die Antwort klar: draußen. Draußen bot sich ein Universum: der Wald oder eine Baustelle, der Hinterhof oder die Straße. Zeitweilig auch Trümmergrundstücke. In meiner Kindheit in den 1950er Jahren rief nachmittags immer jemand: „Kahli, kommst du runter?“ Unsere Tochter hat ähnliche Worte schon nicht mehr kennengelernt. Was ist passiert? Zurück zur Natur Remo Largo ist Kinderarzt und hat wie kaum ein anderer das Leben der Kinder erforscht. Bis zu seiner Emeritierung hat er die Abteilung „Wachstum und Entwicklung“ an der Universitäts-Kinderklinik Zürich geleitet und 800 Kinder auf ihrem Weg von der Geburt bis ins Erwachsenenleben beobachtet. Ihn stimmt der Alltag der meisten Kinder heute geradezu pessimistisch. Viel zu viele wachsen nicht mehr mit anderen Kindern auf. Vielfalt sei wichtig. Kinder seien immer auch mit vielen Erwachsenen aufgewachsen. Und noch etwas: Dreißig Jahre habe er gebraucht, bis er darauf gekommen sei, dass bis vor etwa zweihundert Jahren die Kinder in der Natur aufgewachsen sind. Nur zum Schlafen waren sie in Höhlen und Hütten. Sonst waren sie draußen. „Noch nie“, sagt er, „habe ich ein Kind im Wald gesehen, das sich dort gelangweilt hat.“ Neurobiologen stoßen ins selbe Horn. Ein derzeit beliebtes Thema ist die Ausbildung der exekutiven Funktionen im Frontalhirn. Man könnte es auch Selbstkontrolle oder Willen nennen. Diese Funktionen werden trainiert, wenn das Leben etwas widerständig ist, wenn man Erfolge hat und angefangene Dinge zu Ende bringt. Zum Beispiel Bucheckern sammeln und Lieder singen. Das gehörte in den letzten hunderttausend Jahren zum Normalfall einer „artgerechten Erziehung“, so argumentiert jedenfalls Herbert RenzPolster. Er ist Forscher und Arzt und verlangt mehr Naturerfahrung für eine „neue Balance von drinnen und draußen“.