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»Perfektion ist der Tod«
Der Hamburger Publizist Reinhard Kahl, 63, betreibt das »Archiv der Zukunft«, ein Netzwerk für gelingende Schulen
GEO: Sie sagen, Fehler seien ,,das Salz des Lernens“. Wieso sind Fehler so wichtig? Reinhard Kahl: Deutlich wird es daran, wie Kinder laufen lernen: durchs Fallen und dann durch das Auffangen des Fallens. Wir begeben uns Schritt für Schritt in die Instabilität und lernen so laufen. Das gilt auch biografisch. Wir kommen nur weiter, wenn wir Schritte ins Neuland wagen. Wollte man das Fallen aus dem Laufen und Leben herauskürzen, würden wir uns bestenfalls wie Roboter der ersten Generation bewegen. Was spricht dagegen, sich beim Lernen an dem zu orientieren, was richtig ist? Aber was ist denn richtig? Ich moderiere seit zwölf Jahren in Hamburg jeden Monat ein Philosophisches Café; es waren alle da, die Rang und Namen haben. Immer geht es, grob und etwas naiv gesagt, um die Wahrheit; aber keiner denkt wie der andere. Es gibt die gleiche Wahrheit nicht zweimal. Gilt dies auch für die klassischen Lernfächer in der Schule? Was in der Schule stattfindet, ist oft nicht Lernen, sondern Belehrung. Da steht der Mathematiklehrer, der alles weiß und nicht versteht, was an seinem Stoff schwierig sein soll, weil es ihm sowieso immer leichtfiel. Und die Schüler werden dazu erzogen, intelligent zu gucken, keine dummen Fragen zu stellen und dann Lösungsstrategien zu kopieren. Man muss nur mal sehen, wie Medizinstudenten sich auf ihre Prüfungen vorbereiten! Ich nenne das Bulimie-Lernen . . . . . . weil die Schüler und Studenten den Lehrstoff in sich hineinstopfen . . . . . . und ihn mit Ekel wieder herauswürgen. Daraus entsteht dann diese seltsame Idee, dass sie nicht lernen wollten. Und dass Lernen eine Art bittere Medizin sei, je bitterer, desto wirksamer. In dieser Fehlerdesinfektionswelt gilt Freude schon als verdächtig, wie das unerlaubte Entfernen von der Lerntruppe. Aber, wie Herodot sagte: Weisheit ist nicht, Schiffe zu beladen, sondern Fackeln zu entzünden.