PS 9

PÄDAGOGIK – P.S. Reinhard Kahl’s Kolumne

Endlich. Eine deutsche Revolution

»Es genügt ihre Anweisungen zu ignorieren.« Und: »Dieser Klüngel hat uns nichts zu sagen.« Der alte Enze-Benze, so nannte der Kabarettist Wolfgang Neuss den vielversprechenden Hans Magnus Enzensberger, als dieser noch ein angry young man war, ruft zum zivilen Ungehorsam auf. Gegen »unsere Vormünder« rebelliert noch mal der greise Schriftsteller. In der FAZ lesen wir seine Abrechnung mit der »Unbelehrbarkeit der ministerialen Ignoranten.« Es geht um den Rechtschreibkrieg, immer noch und schon wieder. Dazu ist ja nun wirklich fast alles gesagt, inklusive, dass es wohl die deutscheste aller so genannten Reformen ist, immer mit dem Beigeschmack von Bürgerkrieg. Enzensberger riecht diesen »fauligen Mundgeruch«, den »das schöne Wort Reform angenommen hat.« Doch er macht mit und mimt den ungnädigen Meister der Vergrundsätzlichung.

Ressentiment

Auf ins letzte Gefecht. Nicht diese modrige Reform, sondern Revolution. Gegen wen? Gegen diejenigen, die sich »sklavisch an die Vorschriften von Amtsinhabern« halten, »die selber nicht imstande sind, einen vernünftigen deutschen Satz hervorzubringen.« Letztere sind die Kultusminister. Diesen Oberidioten gehorchen die Unteridioten »auf die servilste Art und Weise«. Das sind die Lehrer. Gute Gelegenheit, ihnen gleich noch eins überzuziehen. »Sie sind allesamt praktisch unkündbar; selbst einen Narren oder Alkoholiker loszuwerden verbietet das Beamtenrecht.« Schon recht. Das sollte man ändern. Aber was hat das mit der Rechtschreibreform zu tun? Im Ressentiment hängt halt alles mit allem zusammen und am Ende ist der Rechthaber der einzige Mensch, umzingelt von Unzurechnungsfähigen. Die Kultusminister, »ein Kreis von Legasthenikern, der es zu Ämtern gebracht hat«, mit ihrer pädagogischen Mischpoke, alles verrottet. Was tun? Vollstrecker des Stammtischs wissen es. Die Rechtschreibung muss Chefsache werden. Der erste neue Chef heißt Christian Wulf, niedersächsischer Ministerpräsident. Er nimmt den Legasthenikern in der KMK das Heft aus der Hand und will mit den anderen Präsidenten zurück zum alten Zustand. Vier Landeshäuptlinge, die mitmachen wollen, hat er schon gewonnen. Seitdem findet er morgens Stapel zustimmender Post auf dem Schreibtisch und nicht mehr nur den Protest wegen Sparen und Sozialabbau. Was für eine Melange. Ein genialischer Autor, der Führungsanspruch von Politikern, denen die anderen Felle davon schwimmen und die Rückkehr zur alten Schreibweise, gehüllt ins Pathos der Verweigerungsevolution.

Evolution

Dabei hat sich die Evolution des Schreibens längst auf einen zivileren Schauplatz verschoben, jenseits der Heroenkämpfe um neue oder alte Schreibweise. Ausgerechnet die Doppelherrschaft von alter und neuer Rechtschreibung hat in den vergangenen Jahren ganz unbeabsichtigt diesen enormen Zivilisationsgewinn gebracht. Die alte Leitdifferenz von »richtig – falsch«, die immer nur eine Möglichkeit durchgehen lässt, wird nun im Alltag von der überlegenen Unterscheidung »möglich – nicht möglich« durchsetzt und langsam ersetzt. »Möglich – nicht möglich«, das ist etwas ganz anderes als die befürchtete Beliebigkeit, gar Anarchie im Schreiben!

Tatsächlich kehrt in die Schrift wieder ein Hauch von dem zurück, was die Dynamik der gesprochenen Sprache auszeichnet. Man stelle sich vor, es gäbe eine Rechtsprechkommission? Der erste Nebeneffekt wäre, dass viele glaubten, ohne bei ihr nachzufragen keine rechten Sätze mehr bilden zu können. Nein, der Regelperfektionismus, in dem sich die Anhänger der einen richtigen alten und die der allein richtigen neuen Schreibweise nur so übertreffen, produziert inzwischen mehr Probleme, als er löst.

Dass Regeln, sobald es mehr als eine gibt, sich aneinander stoßen und nie wirklich aufgehen, das ist nur für Pedanten eine Not. Es ist tatsächlich ein Glück. Ein Glück für jede Evolution. Wenn die Dinge nicht ganz aufgehen, dann gehen sie weiter.

Wollen

Die meisten schreiben doch sowieso, wie sie wollen. Wie sie wollen? Von der Betonung dieses Satzes »Wie sie wollen« hängt doch alles ab.

Die behauptete Beliebigkeit und gefürchtete Verwahrlosung »die schreiben, wie sie wollen« ist nicht von großem Vertrauen geprägt. Dann braucht man keine Regulative, sondern Vorschriften. Aber wenn man mit etwas Achtung sagt, der schreibt, wie er will, dann könnte es doch sein, er oder sie will etwas, und das ist alles andere als banal.

Mal im Ernst. Wer morgens die FAZ liest, mit der alten Rechtschreibung, die dort geheimnisvoll die »bewährte Rechtschreibung« genannt wird, und dann zur Süddeutschen greift, mit ihrer nach eigenen Redaktionsregeln modifizierten neuen Rechtschreibung und dann vielleicht noch die taz, mit linientreuer neuer Rechtschreibung, fällt dem überhaupt was auf?

P. S.

Vielleicht sollten unsere Don Quichottes, die in den Krieg für die eine ganz richtige Rechtschreibung ziehen, zwischendurch mal Goethe lesen. Er sagte: »Ihr seht schon ganz manierlich aus, kommt mir nur nicht absolut nach Haus.« Das Absolute ist tödlich. Es hat, wie jede andere Perfektion, keine Zukunft.

Also halten wir es mit dem Meister aus Weimar. Er war gar nicht zimperlich, schrieb seinen Namen mal mit H und mal ohne, oder auch Göthe. Das sollte ein Schüler mal wagen! Ja, er sollte es wagen. Vor allem sollte er Goethe lesen, der übrigens ein großer Freund von Fehlern war.

P.P.S.

Kritik, Zustimmung oder Brainstorming: www.reinhardkahl.de