PS 11 ´04 Count Down Pisa

PÄDAGOGIK – P.S. Reinhard Kahl’s Kolumne

Countdown Pisa

Am 7. Dezember ist es so weit. Dann werden die Ergebnisse der zweiten internationalen Pisa-Studie veröffentlicht. Schon im September reagierte Deutschland fiebrig auf den OECD-Report »Bildung auf einen Blick«. Ein paar Tage später streute die ebenfalls von der OECD durchgeführte Lehrerstudie Salz in die deutsche Bildungswunde. Die paranoische Fraktion sah schon OECD-Verschwörer am Werk. Tatsächlich moderte der Deutschland-Bericht der Lehrerstudie seit März in KMK-Schubladen. Erst nachdem Ergebnisse mehrmals in den Zeitungen standen, gab sich dieser Club, dessen Temperament ein bayerischer Minister mit der griechischen Landschildkröte verglichen hatte, einen Ruck.

OECD-Quittung

Die meisten Daten im jährlichen Bildungsreport der OECD sind nicht neu. Schon lange investieren die Deutschen zu wenig Geld. Doch vielen Menschen erschließen sich nun bisher verborgene Zusammenhänge. Dass man hierzulande auch mit Vertrauen in die nächste Generation geizt, wollte man lange nicht sehen. Viele Kinder werden mit einer bösen Botschaft vergiftet, die da lautet: Ob du dazu gehörst, ist zweifelhaft. Man mag es nicht glauben, Studienanfänger hören in Fächern, die auf ihre Härte stolz sind, »die Hälfte von ihnen gehört nicht hierher, wer es nicht hören will, wird es bei der Zwischenprüfung fühlen.« Die OECD-Quittung: Wir sind Schlusslicht bei den Studienanfängern und an der Spitze bei den Abbrechern. Wie die Indikatoren für das Gefühl von Zugehörigkeit, sind in unseren Schulen auch die für Verantwortung niedrig. Klar, wenn sich die Schule wie eine zur Bewährung ausgesetzte Vorstrafe aufs spätere Leben anfühlt, wird man das, was dort getrieben wird, nicht als sein Eigenes erleben.

Aber können sich die Deutschen Alternativen vorstellen? Schaffen wir es, wie die Finnen, zu sagen: »Kein Kind darf beschämt werden?« Werden wir, wie die Schweden, irgendwann ins Schulgesetz schreiben: »Sortieren findet bis Klasse neun nicht statt?« Glauben die meisten Deutschen im Grunde ihres Herzens überhaupt, dass eine entneurotisierte Schule die besten OECD-Ernten einfährt? Es ist so: »Heterogenität« ist erfolgreicher und sogar sexy. Die Liste der Gründe dafür wird immer länger. Die werden nach dem 7. 12. auch unsere müden Debatten beflügeln.

Populismus

Die ganze Misere hängt ja tief im kollektiven Imaginären. Deshalb brauchen wir so dringend Bilder des Gelingens! Die könnten in diesem Land, das zuletzt einen Rechtschreibkrieg führte, weil der so schöne Déjà-vu-Erlebnisse verschafft, sogar friedensstiftend wirken. Apropos. Im September konnte man hier lesen, wie Ministerpräsident Christian Wulff großspurig ankündigte, den unfähigen Kultusministern das Heft in Sachen Rechtschreibreform aus der Hand zu nehmen. Nun ist der Sommer vorbei. Das Populismus-Projekt ist im Rohr krepiert. Aber Wulff spürt, Bildung wird das Thema der Saison, und sagte sich, auf in den Ring, die Tagesordnung bestimmen und sich als mutiger Entscheider zeigen. So macht sich Christian der Große auf, den KMK-Knoten eigenhändig zu zerschlagen. »Ich kündige.« Ohne Wissen. Ohne Abstimmung. Einfach nur so, aus purer Entschlossenheit. Schon am Tag drauf wird er kleinlaut und sondert in Interviews nichts als Klischees ab. In der Kultusministerkonferenz solle nicht mehr der Langsamste das Tempo bestimmen. Sie sei nicht innovativ. Und so teuer. 2,5 Millionen zahle Niedersachsen im Jahr für lauter arrogante Bürokraten. Das klingt wie zum Zitieren bei BILD gedichtet. Heiße Luft. Nehmen wir das Geld. Täglich zahlt das verschuldete Niedersachsen sieben Millionen Euro bloß an Zinsen.

Man sollte Wulff nicht zu viel politisches Kalkül unterstellen. Die prompten Reaktionen seiner CDU-Kollegen aus Hessen und Stuttgart zeigten, da ist in Hannover keine Strategie, außer der des Egos. Profilierungspanik. Bald fiel Wulff ein, nein, abschaffen wolle er die KMK gar nicht, worauf der Austritt seines Landes doch hinausliefe. Nur erneuern. In der KMK solle künftig nicht mehr die Einstimmigkeit (Vetoprinzip) gelten. Aber was das heißt, hatte er sich auch wieder nicht überlegt. Wenn Länder durch Mehrheitsbeschlüsse überstimmt werden können, dann würde aus dem Abstimmungs- und Handlungsvermeidungsorgan KMK eine Bildungsregierung. Dann bestimmten Mehrheiten über unterlegene Bundesländer. Das wäre das Ende des Föderalismus.

Modernitätsformel

Vielleicht bekommt ein anderer Niedersachse Recht. Wilhelm Busch aus Ebergötzen. »Erstens kommt es anders …« Und vielleicht merken wir inmitten des in sich verhedderten Föderalismus und all der OECD-Diagnosen, wie klar und einfach die Modernitätsformel der erfolgreichen Bildungsnationen ist. Dort gibt es eine starke, aber kleine politische Zentrale. Sie organisiert den Konsens über Ziele und sorgt für die nötigen Ressourcen. Ansonsten, alle Macht den Schulen, Hochschulen und den vor Ort Handelnden. Die dritte Instanz heißt Evaluation: Rechenschaft geben. Diese moderne Dreifaltigkeit braucht keinen kleinstaatlichen Bildungsföderalismus. Der ist nämlich das Problem. Die KMK ist ein Symptom.

P. S.

Wir brauchen unter dem Dach eines prinzipiellen Konsens vielfältige Bildungslandschaften mit eigenwilligen Schulen. Was wir haben, ist ein regulierungswütiger, häufig demütigender Zentralismus. Und das gleich 16 Mal. Dessen Kopfgeburten müssen dann in der KMK ewig abgestimmt werden. Daraus wird nie was.

P.P.S.

Kritik, Zustimmung oder Brainstorming: www.reinhardkahl.de