PÄDAGOGIK – P.S. Reinhard Kahl’s Kolumne |
Hyvinvointi |
Die Puistolan Peruskoulu in Vantaa, ein Vorort von Helsinki, ist ein einladender, architektonisch ideenreicher Neubau. Oberlicht gliedert den Raum. Pflanzen geben Fluren, Bibliotheken, Computerlabors und der großzügigen Kantine etwas von einer Orangerie. Also eine Vorzeigeschule? Nein, sagt die Lehrerin Eija Reinikainen und fragt, ob es denn in Deutschland nicht selbstverständlich sei, dass nur die besten Architekten Schulen bauen? Hm. Selbstverständlich ist den Pisa-Weltmeistern auch die Peruskoulu, die Gemeinschaftsschule. Zu ihr gehen in Finnland alle Kinder vom 1. bis zum 9. Schuljahr. Aber was heißt das: Gemeinschaftsschule? Die kleine Klasse Eija Reinikainen führt die Besucher in ihre »kleine Klasse,« ein drittes Schuljahr. Da sitzen an diesem Morgen nur vier Schüler. In der nächsten Stunde kommt noch eine Schulassistentin dazu. Wir verdrehen die Augen. Dabei wussten wir ja schon, dass es eine »kleine Klasse« für Kinder mit Schwierigkeiten zu sehen gibt. Aber so klein? Eija – die Finnen sprechen sich mit Vornamen an – berichtet voller Stolz, dass sie nun langsam überflüssig wird und sich neue Aufgaben für den Rest des gerade drei Monate alten Schuljahres sucht, denn die meisten der Kinder »mit Diagnose«, die sie mit der Einschulung bekommen hat, gehen bereits in allen Fächern in die 3a, »die große Klasse«. Das Wort normale Klasse wird vermieden. Zusatzunterricht Eigene Kuratoren und Schulpsychologen haben nur große Schulen. In Helsinki gibt es insgesamt 44 Schulpsychogen und 47 Kuratoren. Im Berliner Bezirk Tiergarten, der etwa so viel Einwohner wie Helsinki hat, gibt es drei Schulpsychologen, die in ihren Büros die Wartelisten abarbeiten. Das Erfolgsgeheimnis Der Anfang ist bei den Finnen das Entscheidende. Kinder mit Schwierigkeiten, und von denen gibt es auch beim Pisa-Sieger, wie Lehrer berichten, immer mehr, sollen möglichst früh Anschluss finden. Aus der großen Aufmerksamkeit für den Anfang ergibt sich das zweite Erfolgsgeheimnis: die Individualisierung. Jedes Kind ist anders, lernt anders, hat andere Fehler. Aber nicht zuletzt aus Fehlern entstehen Potentiale. Interessant ist: Was als Umgang mit beeinträchtigten Kinder begann, wird langsam zum Prinzip für das ganze System. Ein großes Thema in Finnland heißt heute Individualisierung. Aber damit, so hört man überall, »stehen wir doch noch ganz am Anfang.« Das dritte durchaus offensichtliche finnische Geheimnis ist, dass mit der Individualisierung auch die Gemeinschaft wichtiger wird. Eija Reinikainen spricht von Liebe und immer wieder von Hyvinvointi, ein kaum übersetzbares Wort, das Geborgenheit, Zugehörigkeit und Wohlfühlen umfasst. P. S. Eija soll übrigens in zwei Jahren pensioniert werden. Sie hat bereits mit dem Schulleiter ein Abkommen geschlossen, dass sie als Honorarkraft weiter machen kann. P.P.S. Kritik, Zustimmung oder Brainstorming: www.reinhardkahl.de
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