ZEIT online Lob des Übens I. Fallen

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Lernen
Von Reinhard Kahl

Lob des Übens
Üben gilt zumeist als gestrig, als das Gegenteil von Entdeckerlust und Selbstverwirklichung. Aber das ist ein Zerrbild. Eine Sommermeditation in drei Teilen
I. Fallen Ein Lob des Übens ausgerechnet im Sommer, während die meisten Schüler noch große Ferien haben und auch Erwachsene im Urlaub endlich mal nichts tun müssen? Gerade jetzt! Man schaue sich nur Kinder an, wie sie am Strand oder an Pfützen Wasser schöpfen und gießen. Scheinbar machen sie ständig das Gleiche. Schöpfen und gießen. Oder man werfe einen Blick auf die Sommercamps, die nun Jahr für Jahr zahlreicher werden. In kurzer Zeit erzielen Kinder und Jugendliche dort unglaubliche Leistungen und zum Schluss gibt es Tränen. Sie wollen nicht mehr weg und immer weiter so lernen, Theater spielen und zusammen sein. Im Trainingszentrum des FC Bayern von Jürgen Klinsmann soll mehr geübt werden und mehr Freude aufkommen, damit es endlich auch in der Champions League klappt. Bei der uralten Spielkunst der Kinder, in den neuen Sommercamps und bei Klinsmanns Empowerment-Fußball kann man entdecken, was intelligentes, lustvolles und durchaus auch anstrengendes Üben vermag. Es hat wenig mit der Zwangsumschulung des Linkshänders zum Rechtshänder oder mit dem Einbläuen von Flötentönen gemein. Aber genau diese Qual ist für viele noch der Inbegriff von Üben: alles nur Drill und Unfreiheit. Demzufolge wurde dann das Kind wieder mal mit dem Bade ausgeschüttet und aufs Üben ganz verzichtet. Aber der Abstand zwischen einengendem Übezwang und herausfordernder Übelust ist so groß wie der zwischen dem Exerzieren auf dem Kasernenhof und den Exerzitien in einem ZenKloster. Gehen wir heute erst mal zu den kleinen Kindern. Ein Baby zieht sich am Stuhl hoch und fällt hin. Es zieht sich am Hosenbein des Vaters hoch und wieder fällt es. Auch die ersten selbstständigen Schritte enden auf dem Boden. Das Laufen beginnt mit dem Fallen und so geht das monatelang. Erwachsene hätten längst aufgegeben. Aber das Kind macht weiter. Am Lerngenie der Kinder kann man viel begreifen. Mit ihrer angeborenen Lust am Neuen nehmen sie sich etwas vor. Ihre ebenfalls angeborene Lust, zum Ziel zu gelangen, treibt sie, bis die Sache mit größter Leichtigkeit und wie automatisch gelingt. Die Erfolge dieses Lernens lassen sich gar nicht aufhalten. Irgendwann kann jeder laufen. Das Laufen selbst ist ja eine schöne Metapher auf unser Thema. Physiologisch gesehen ist es aufgefangenes Fallen, und dieser Wechsel von Stabilität

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11.08.2008