DIE ZEIT Pisa – Lesarten

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Die Zeit – Chancen : Das Ringen um Pisa

DIE ZEIT
Das Ringen um Pisa
Warum es so viele Lesarten einer Studie gibt.

Von Reinhard Kahl Als Anfang Dezember 2001 die erste Pisa-Studie veröffentlicht wurde, war das in Deutschland der BSE-Fall für die Bildung. BSE hieß diesmal Bildungs-Skandal-Erreger. Die Irritation brachte mehr in Gang als alle Studien, Reden oder Programme der Jahrzehnte nach dem Versanden der ersten Bildungsreform, die Mitte der 1960er Jahre begann und schon bald darauf auf den Schlachtfeldern eines 30-jährigen Bildungskriegs begraben wurde. Mit Pisa habe ein »Paradigmenwechsel in der Bildung« begonnen, sagt Bundesbildungsministerin Annette Schavan. Dafür hatte nicht nur das enttäuschende Abschneiden der deutschen Schüler gesorgt, sondern auch das Konzept der Studie. Der Schlüsselbegriff heißt Kompetenz. Dabei geht es nicht so sehr um das häufig träge und bald wieder vergessene Schulwissen, sondern um die Fähigkeit, das Wissen anzuwenden und für neue Situationen zu modellieren. Nicht nur darum, wie Manfred Prenzel, der derzeitige deutsche Pisa-Chef, gern sagt, »Algorithmen abzuarbeiten«, also etwa Matheaufgaben nach immer wieder demselben Schema durchzurechnen. Kompetenz heißt auch, selbst an Lösungswegen zu basteln. Und dabei vielleicht zu entdecken, dass es mehrere Wege geben kann. Kompetenz heißt, Wissen und Handeln zu verbinden. Das Pisa-Leitbild, so Andreas Schleicher, der internationale Koordinator der Studie, sei »der handlungsfähige und engagierte Bürger, nicht der artige Schüler«. Von dieser Kompetenz, so die Lehre des Pisa-Schocks, waren die deutschen 15Jährigen weit entfernt. Dabei hatte man doch immer gedacht, unsere Schulen seien, weil so schwer, auch so anspruchsvoll und ebendeshalb auch so wirksam. Nein. »In Deutschland hängt die Latte so hoch, dass es für viele Schüler näher liegt, drunter durchzukriechen als drüberzuspringen.« Damit brachte Jürgen Baumert, Direktor am MaxPlanck-Institut für Bildungsforschung und Leiter der ersten Pisa-Studie, die Sache auf den Punkt.Baumert war es auch, der immer wieder davor warnte, aus den Ergebnissen dieser empirischen Studie unmittelbar auf tiefere Ursachen zu schließen. Auch eine Therapie ist aus dem internationalen Vergleich nicht zwingend abzuleiten. Zu werden wie die Finnen ist so wenig ein Befehl von Pisa, wie den Koreanern nachzueifern. Aber die Studie liefere viele Hinweise, denen nachzugehen sei. Baumert tat das. Er und seine Kollegen fragten die Elite der Lehrer, definiert als diejenigen, die an Lehrplänen mitwirken und Schulbücher schreiben, wie viele ihrer Schüler beim Pisa-Test im Lesen wohl Aufgaben aus der höchsten Kompetenzstufe gut lösen würden. Gymnasiallehrer meinten, das seien fast 80 Prozent. Auch die Hauptschullehrer glaubten im Schnitt, 60 Prozent ihrer Schüler würden es schaffen. Tatsächlich gelangen diese anspruchsvollsten Aufgaben nur 0,3 Prozent der Hauptschüler, also praktisch keinem.

13.12.2007