Interview mit R. Kahl im D.Radio Kultur zum Deutschen Schulpreis

Deutschland Radio Kultur Facit

http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2006/12/11/dkultur_200612111916.mp3

Deutschlandfunk Kultur heute 

http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2006/12/11/dlf_200612111742.mp3

11.12.2006 · 17:35 Uhr

Bundespräsident Horst Köhler während einer Rede anlässlich der Verleihung des Deutschen Schulpreises, der erstmalig in diesem Jahr von der Robert-Bosch-Stiftung ausgeschrieben wurde. (Bild: Sandra Steins / Bundesbildstelle) Bundespräsident Horst Köhler während einer Rede anlässlich der Verleihung des Deutschen Schulpreises, der erstmalig in diesem Jahr von der Robert-Bosch-Stiftung ausgeschrieben wurde. (Bild: Sandra Steins / Bundesbildstelle)

Auf der Suche nach der Qualität im Klassenzimmer

Der erste deutsche Schulpreis wurde vergeben

Reinhard Kahl im Gespräch

Eine Schule, die „pädagogische Leidenschaft mit professionellem Können und modernem Qualitätsmanagement“ verbindet – mit diesem strahlenden Lob kürte die Jury des Deutschen Schulpreises die städtische Grundschule Kleine Kielstraße in Dortmund. Wachheit, Aufmerksamkeit und Hunger auf die Welt herstellen, das gelinge der Grundschule mit 80 Prozent Kindern ausländischer Herkunft ausgezeichnet, so Reinhard Kahl.

Christoph Schmitz : Der Preis wurde zum ersten Mal verliehen. Vergeben wird er von der Robert-Bosch-Stiftung und der Heidehof-Stiftung in Kooperation mit dem Magazin „Stern“ und dem ZDF. Fast 500 Schulen bundesweit hatten sich beworben. Bewertet wurden Unterrichtsqualität, Umgang mit multikultureller Vielfalt, Schulklima, Motivationsförderung und Professionalität der Lehrer. Bundespräsident Horst Köhler überreichte die 50.000 Euro heute Vormittag in Berlin der Siegerschule. Bevor wir fragen, was diese Prämierung für das deutsche Schulwesen bedeutet, zuerst einmal die Frage: Was genau zeichnet die prämierte Schule Kleine Kielstraße in Dortmund aus?

Reinhard Kahl: Erstmal eine wirklich fantastische Atmosphäre, die die Erwachsenen machen, die Lehrer. Die Lehrerinnen, überwiegend Lehrerinnen, sind morgens als erste in der Klasse und warten auf die Schüler. Sie haben etwas von Gastgebern an sich, die sich und den Raum gut vorbereiten, sagen zu den Schülern, gut, dass ihr da seid, und die sagen nicht, auf dich habe ich gerade noch gewartet. Die Lehrer in dieser Schule, eine Schule, in der vier von fünf Kindern ausländischer Herkunft sind, die habe ich dort nicht mit einem Satz sozusagen in diesen Opfer-Klage-Singsang gehört, den man schon häufiger in Schulen hören kann, sondern sie nehmen die Schüler, wie sie sind, und die ganze Schule ist sozusagen eine wirklich dialogische Veranstaltung, und das etwas Wunderbares.

Schmitz: Das heißt aber auch andrerseits, die inhaltliche Qualität bedarf als Voraussetzung das gute Schulklima, die Motivationsförderung, den sozialen Zusammenhalt, den Sie gerade angedeutet haben, auch möglicherweise die individuelle Aufmerksamkeit gegenüber den Schülern. Also nur wer sich gut fühlt, lernt auch gut?

Kahl: Ja, oder man könnte sagen, die Schule muss erstmal Wachheit, Aufmerksamkeit, Hunger auf die Welt herstellen. Sie darf nicht zu schnell satt machen, und das schafft diese Schule fantastisch. Ich habe erlebt, wie morgens in der ersten Stunde in einer ersten, zweiten Klasse, das ist da so altersgemischt aus guten Gründen, damit die Verschiedenheit der Schüler zur Geltung kommt, wurden Experimente gemacht mit Luft, und eine Kerze wurde erst mit einem kleineren Glas, dann mit einem größeren Glas zugedeckt, und sie ging dann aus, wir kennen das, und wie gebannt die Schüler da hingeguckt haben, und sie haben weitere Experimente gemacht, das würde jetzt zu weit führen, und nach anderthalb Stunden waren die Schüler so bei der Sache, wie ich das sonst nirgendwo erlebt habe, und da hat man nicht mehr geguckt, sind da jetzt 80 Prozent Ausländer, nein, da waren wache Kinder.

Schmitz: Ist damit die Diskussion über die Schulformen, also Dreigliedrigkeit oder Gesamtschule, hinfällig geworden, weil es auf den Schultyp gar nicht mehr ankommt, damit gutes Lernen möglich ist, sondern auf den sozialen Schulgeist?

Kahl: Also es käme dann auf den Schultyp nicht mehr an, wenn man es so macht wie all diese fünf Schulen, die heute ausgezeichnet worden sind. Sie sind alle in ihrer Weise, wie man heute sagt, Schulen für alle. Wenn eine Schule so konstruiert ist, dass einem Teil der Schüler offen oder unterschwellig mitgeteilt wird, wir wollen mal sehen, wer hier zu den blinden Passagieren gehört, wenn eine Schule sich versteht, also wir sind die richtige Schule, aber haben leider so viele falsche Schüler – und das geht ja einher mit unseren problematischen drei-, vier-, fünfgliedrigen Schulsystem -, dann steckt eine Art Gift im System. Aber nichts hindert jede Schule daran so zu verfahren wie diese fünf Schulen, die heute ausgezeichnet worden sind, und zu sagen, ihr seid gut, ihr gehört hierher, wir machen das Beste draus, die das Wort Herausforderung wörtlich nehmen. Also die sind nicht lasch, die fordern etwas heraus, aber wenn man etwas aus jemandem herausfordern will, muss man erstmal daran glauben, dass etwas drin ist.

Schmitz: Aber das heißt doch auch, dass die Schule etwas übernommen hat, eine Erziehungsaufgabe nämlich, eine ganz prinzipielle Erziehungsaufgabe, die Elternhäuser oder die Gesellschaft im Allgemeinen nicht mehr leistet.

Kahl: So kann man es sagen. Ich würde einfach sagen, Erziehung wird auch anders definiert. Wenn die Schule interessant und gut ist, wenn sie welthaltig ist, dann sagen dort die Erwachsenen, wir ziehen euch Kinder, Schüler, Jugendliche in unsere Welt hinein, seht mal, das ist doch interessant, man kann etwas machen. Das sind allerdings dann alles Schulen, die verstehen sich nicht als solche der Stoff- oder Lehrplanvermittlung, sondern da wird man auf den Geschmack der Welt gebracht, und der Geschmack der Welt steckt in der Musik und der steckt auch in einem Algorithmus drin.

Schmitz: Aber dennoch kommt dann der Stoff rüber?

Kahl: Er kommt nicht dennoch rüber, sondern er kommt deswegen rüber. All diese Schulen, die heute ausgezeichnet worden sind, die sich durch sehr gutes Klima auszeichnen, liegen leistungsmäßig jenseits aller Problematik an der Spitze, zum Beispiel die Jena-Planschule in Jena, eine Gesamtschule, an der man auch das Abitur machen kann, hat ein Abiturdurchschnitt von 1,5. Es gibt ein Zentralabitur in Thüringen, der Landesdurchschnitt ist 2,3. Wenn es eine gute Atmosphäre gibt, wenn die Schüler willkommen sind, dann lässt sich Lernen und gute Leistung gar nicht vermeiden.