FR Interview Abschied vom Bulimie-Lernen

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„Bulimie-Lernen abschaffen!“

Schule

„Bulimie-Lernen abschaffen!“
Politiker füllen mit ihren Vorschlägen Einheitsschulbücher und Zentralabitur das Sommerloch. Bringen sie damit das Bildungssystem weiter? Natürlich nicht. Bildungspolitik kann nur weiterkommen, wenn sie dem wahren Föderalismus eine Chance gibt. Das wäre die Vielfalt von Schulen und die Sammlung der Reform-Ansätze vor Ort. Diese häufig stumme Arbeit müsste zu Wort kommen. Das ist keine Frage der Informationstechnik, sondern der Anerkennung. Vorbild Finnland? Ja. Dort sucht und findet man Antworten auf einzelne Schüler. Man sucht Wege, die Schulen weiter zu verbessern. Kürzlich nahmen die Finnen die zehn vermeintlich besten Schulen des Landes unter die Lupe mit dem Ziel, zu erfahren, was eine gute Schule ausmacht. Das Ergebnis überraschte: Jede der zehn Schulen war anders. Lappland ist eben nicht Helsinki. Erfordert diese Freiheit mehr Vertrauen von „oben“? Genau das aber ist bei uns dünn gesät. Dafür herrscht diese verfluchte deutsche Tradition: Geizen mit Anerkennung und einen gewissen Triumph, andere zu beschämen. Dieser Habitus beginnt „oben“ und wird von vielen Schulen zu den Kindern durchgereicht. Die Politik erhofft sich bessere Ergebnisse durch mehr Kontrolle – etwa zentrale Prüfungen. Sie bringen uns nicht weiter, wenn dabei mit dem Knüppel gedroht wird. Warum fallen uns zu Prüfungen nicht eher Untersuchungen wie beim Arzt ein, der helfen will? Bei uns inspizieren die Ministerien die Schulen mit den Lehrern und Schülern, die im Verdacht stehen, dumm und faul zu sein. Kann Vertrauen in einem selektiven System überhaupt reifen? Es behindert auf jeden Fall das Wachsen freundlicher Diagnosen. Wenn stets die Selektionsguillotine droht, finden wir nicht die Antwort auf die Frage, wo das Problem des Patienten liegt. Ist die Abkehr vom mehrgliedrigen Schulsystem die Lösung? Alleine sicher nicht. Viele deutsche Schulen haben sich trotz der existierenden Schulen erfolgreich auf den Weg gemacht. Warum ist das kaum bekannt? Die Handelnden kennen sich nicht. Da forscht etwa an der Universität Köln Gerd Schäfer darüber, wie Kinder mit Natur und Naturwissenschaft umgehen. Doch vom Chemiker Salman Ansari an der OdenwaldSchule in Heppenheim, der etwas Ähnliches gemacht hat, weiß er nichts. Mit unserem „Netzwerk der Schulerneuerer“ wollen wir dazu beitragen, dass sich das ändert. Wie kann da der schulübergreifende Austausch gelingen? Wir brauchen einen Anfang. Ich finde es nachvollziehbar, wenn Forscher sagen, wenn fünf Prozent etwas wollen, dann verändert sich die ganze Landschaft. Und wir brauchen eine andere Form der Kommunikation, der Anerkennung und der Bereitschaft, vom anderen zu lernen. Wir brauchen die freundschaftliche Evaluation.

18.08.2007