ZEIT online Üben 3 Flow

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Lernen
Von Reinhard Kahl

Wenn Üben glücklich macht
An der Musik wird deutlich, was Üben einmal war, wozu es geschrumpft ist und was es wieder werden sollte. Dritter Teil der Sommermeditation über das Üben
III. Flow „Üben ist für Kinder ein Schreckgespenst“, warnte der große Pianist und Komponist Arthur Schnabel. Er wollte das Wort am liebsten verbieten, denn man kann Kinder nicht für Musik begeistern, wenn man sie ihnen wie eine bittere Medizin aufzwingt. In seinen Erinnerungen Aus dir wird nie ein Pianist schlug Schnabel vor, die Drohgebärde, ,,hast du heute schon geübt“, durch die freundlichen Ermunterung zu ersetzen: „Hast du heute schon Musik gemacht?“ Aber welches Wort man auch gebraucht, die Bedeutung hängt letztlich an der Betonung. Es gab Zeiten, da klang Üben ganz anders als das garstig Wort, das der 1951 verstorbene Schnabel streichen wollte. Da kündete Üben nicht den entbehrungsreichen Weg zum fernen Ziel an, das dann zumeist gar nicht erreicht wird und die Sache mehr verleidet als fördert. Üben bedeutet das genaue Gegenteil davon. Es war ursprünglich das Wort für eine Passion. Es stand dafür, etwas zu vervollkommnen. Üben war gewiss nicht leidensfrei und auch nicht ohne Anstrengung möglich, aber schon der Anfänger genoss es, denn es machte hellwach und öffnete die Aufmerksamkeit. Der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi hat für dieses Glück, ganz gegenwärtig zu sein, das Wort ,,Flow“ geprägt. Er findet Flow zum Beispiel bei Bergsteigern. Flow wird bei der Hingabe an eine Sache frei gesetzt. Flow kommt auf, wenn Kinder im Spiel versinken, selbstvergessen und voller Ernst. Um Flow zu erreichen, muss man vom Druck des aufgeschobenen Lebens frei sein. In der Musik lässt sich der Wandel wie unter dem Brennglas nachzeichnen. Bachs Goldberg-Variationen zum Beispiel waren als Übungsstücke komponiert, aber eben nicht nach dem Muster jetzt üben und später können. ,,Üben und Ausüben waren noch Synonyme“, schreibt der Musikwissenschaftler Heiner Klug. In seiner Studie ,,Musizieren zwischen Virtuosität und Virtualität“ (www.art-live.de zeigt er, wie das Üben im 19. Jahrhundert kippte. Bis dahin galt als ,,Übung jede Beschäftigung mit dem Instrument, Übung war jedes Spiel, unabhängig vom Niveau: vom Anfänger bis zum Meister, der Vortrag inbegriffen.“ Die Notenvorlagen dafür bezeichnet Klug als ,,Muster und Anregungsstücke zum Selbsterfinden“. Lehrer improvisierten zuweilen wie heutige Jazzmusiker. Jeder komponierte zumindest ein bisschen. Auch Musiker waren nicht bloß die

29.08.2008