Wir trauern um Franz Gresser, den Lehrer als Gastgeber

franz_gresser3Wer den Film „Treibhäuser der Zukunft“ gesehen hat, kann Franz Gresser nicht vergessen. Man sieht ihn morgens in dem noch fast leeren Klassenraum. Er ist als erster da. Wie ein Gastgeber bereitet er sich und den Raum vor. Jeden Tag lädt er aufs Neue ein. Die Schule wird ein Gasthaus des Lernens. Kein Zwangsrestaurant mit Aufesszwang. Was man in seiner Klasse sieht, ist das genaue Gegenteil der um sich greifenden Lernbulimie, der schulischen Normalverwahrlosung.

Auch einige Schüler sind schon vor Unterrichtsbeginn da und legen bald los, einfach so, ohne Gong, als wäre das Lernen ihre ureigene Sache. Es ist ihre Sache. Lernen ist dort eine Vorfreude der Schüler auf sich selbst, das große Projekt des eigenen Lebens. Eine Idylle am Bodensee? Wir treffen Franz Gresser in einer Hauptschulklasse. Eigentlich sei das der Tiefpunkt, hört man überall, 7. Klasse Hauptschule, oh je, aber vom pädagogischen Lazarett ist bei ihm nichts zu spüren.

Fächer wurden abgeschafft. An ihre Stelle sind Freiarbeit, vernetzter Unterricht und Projekte getreten. Und was ist mit den Null-Bock-Schülern? Die gibt es nicht. Warum? Franz Gresser hat die Antwort darauf gegeben

Zwei Tage vor Sommeranfang ist Franz Gresser gestorben. Er war mit seiner sechsten Klasse unterwegs. Er stieg vom Fahrrad und hörte auf zu leben.

 

Wir werden Franz Gresser nicht vergessen.

Franz Gresser im Gespräch mit Reinhard KahlJetzt spreche ich, Reinhard Kahl, noch ein paar Sätze nur für mich. Sätze die übertrieben klingen könnten. Sie sind es nicht. 2003 machte ich mich in Deutschland auf die Suche nach Schulen, die gelingen. Vorangegangen waren filmische Expeditionen nach Kanada, Schweden und Finnland. Dahin blickten viele. Wir waren begeistert und viele sagten, das würden wir so auch gern machen, aber leider sind wir keine Finnen. Dem wollte ich widersprechen. Aber würde ich es können? Da war die Bodensee-Schule St. Martin in Friedrichshafen eine Entdeckung. Neben Alfred Hinz, dem damaligen Schulleiter war es Franz Gresser, der zeigte, dass eine Schule, in der Lernen nicht bloß die passive Seite von Belehrung ist, auch hierzulande geht. Vielleicht hätte ich das Projekt „Treibhäuser der Zukunft“ aufgegeben, wenn ich bei meiner Suche nicht auf diese Schule gestoßen wäre. Insofern verdanke ich diesen Film auch Franz Gresser. Ich verneige mich.

Franz Gresser war kein Mann großer Worte. Er sprach seine Muttersprache zu der auch sein Dialekt gehörte. Dass ich die Interviews mit ihm untertitelte, hatte er mir wohl etwas übel genommen. Davon zeigte er dann aber doch nur wieder sein verschmitztes, freundliches und bescheidenes Lächeln. Bei Vorführungen des Rohschnitts hatte man ihn in Berlin nicht verstanden. Und das sollte man doch, ihn verstehen. Ihn, der keine Leitartikel sprach, der nicht vom „Umgang mit Heterogenität“ und dergleichen schwadronierte sondern mit seiner ganzen Person das beglaubigte, worauf es ankommt: Pädagogik ist zuallererst die Art und Weise des Verhältnisses der Erwachsenen zu den Kindern und Jugendlichen.

Franz Gresser mit einem SchülerNatürlich wusste Franz Gresser, dass unser selektives Schulsystem einem entspannten Generationsverhältnis im Wege steht, weil das Versprechen einer bedingungslosen Zugehörigkeit verweigert wird. In einem Gespräch mit anderen Lehrern, das im Exkurs „Lehrer“ auf der Dreifach-DVD „Treibhäuser der Zukunft“ zu sehen ist, nimmt er kein Blatt vor den Mund. Aber „die Strukturen“ nahm er nicht zur Ausrede dafür, dass man halt nichts machen könne.

Menschen wie Franz Gresser leben und wirken weiter. Als Vorbild. Ein Vorbild kann allerdings nur sein, wer authentisch ist. So hat er gelebt, authentisch, und so ist er – darf man das so sagen – auch gestorben, authentisch: Freundlich, klar, nicht verbogen und unauffällig strahlend. Adieu Franz Gresser!