taz / Die list der rechtschreibreform


Die list der rechtschreibreform

Ade, normen! Die doppelherrschaft von alter und neuer rechtschreibung hat in den vergangenen jahren einen zivilisationsgewinn gebracht
VON REINHARD KAHL

Die deutschen schwelgen in einer ihrer geliebten katastrophen. Diese ist immerhin fast gratis. Die erste schnäppchenkatastrophe. Am Anfang stand der plausible anspruch, eine rechtschreibreform solle klarheit schaffen – und zwar ganz eindeutig und vorerst endgültig. Dieses vorhaben ist nach manchen reformen der reform vorerst gescheitert. Aber ihre „Rückname“, wie Spiegel-chef Stefan Aust eigensinnig in der hausmittelung des magazins buchstabiert, wird nicht so flächendeckend sein, wie sich das die romantiker der neuerdings „klassisch“ genannten alten schreibe vorstellen. Das ist ja das schöne. Selbst die protagonisten der kehrtwende sind in ihrer performanz viel unvollkommener, eigenwilliger und auch interessanter, als wenn sie normen proklamieren und sich blamieren.

Zum beispiel Peter Müller, ministerpräsident in saarbrücken. Der frisch erweckte orthografiepopulist bekennt, wie froh er nun sei, bald wieder „sauerstoffflasche“ mit einem f weniger schreiben zu dürfen. Falsch, Peter. Setzen! Auch nach den regeln seiner alten schreiborthopädie müssen hier drei f sein, ganz anders als bei der von unseren rechthabern so beliebten flussschifffahrt, die nach altem recht mit zwei f auskommt. Das hängt davon ab, ob aufs f ein vokal oder konsonant folgt.

Die neue rechtschreibung hat auf solche geregelten unregelmäßigkeiten verzichtet. Aber wer will eigentlich noch in solch geheimwissen eingeweiht werden? Müssen wir diesen regeln wirklich folgen? Warum werden nicht die varianten mit zwei und drei f freigegeben? Dann hätten wir frieden. Basta. Die ganze deutsche fehlerinquisition könnte sich wichtigeren aufgaben zuwenden. Und dieser artikel wäre jetzt zu ende. Aber wir müssen weiter machen und können nicht umhin, ein paar hier in den vergangenen jahren bereits vorgetragene argumente zu wiederholen.

Die komplizierte deutsche rechtschreibung steht ja nicht erst seit gestern am pranger. Denn normalsterbliche wie Stefan Aust und Peter Müller mussten sich nicht nur als schüler, sondern lebenslang mit einem schreibsystem quälen, dessen regeln oft nur für 60 prozent der fälle galten und daneben 40 prozent ausnahmen produzierten. Deshalb war zunächst ja auch jedermann für eine reform.

Kaum vorstellbar, dass es vor 1901 keine staatlich erlassene rechtschreibung gab. Damals wucherten barocke ungetüme, zu denen auch noch unsere großschreibung von substantiven gehört. Jacob Grimm, der große wörter- und geschichtensammler, schrieb klein. Ein individuum konnte sich entscheiden. Vielfalt war möglich. Der große Goethe hatte regelrecht lust daran, gleiche wörter verschieden zu schreiben, selbst seinen namen mit h oder ohne, mal mit ö oder mit oe. Dann nahm Duden dem regierungsrath in preußen sein h, und viele beamte sahen ihre autorität und würde bedroht. Bismarck drohte seinen staatsdienern und diplomaten strafen an, wenn sie die neue mode mitmachten.

Tatsächlich hatte bereits Duden, dessen maxime ja hieß, „schreib wie du sprichst“, etwas anderes bewirkt als das, was er beabsichtigt hatte. Der vereinfachungsversuch öffnet der großen normierung der schrift tor und tür. Das passte hervorragend ins din-zeitalter der ersten industriellen moderne, in der die deutschen weltmeister wurden. Die durchregulierte rechtschreibung, zumal in ihrer engen und ängstlichen auslegung, sozialisierte für die massenproduktion. Sie braucht strikte normen, die unbedingt einzuhalten sind. Kreativität und ideen brauchen spielräume. Auch die jüngste, eher zahme rechtschreibreform lebte noch von dem traum einer alle zweifelsfälle berücksichtigenden und ordnenden zentralistischen regelungskraft. Dieser zentralismus provoziert. Aber wissen diejenigen, die nun nach der „bewährten“ oder „klassischen“ rechtschreibung nostalgieren, wonach sie sich sehnen?

Der neuerliche ausbruch eines deutschen kulturkampfes ist ein merkwürdiges amalgam. Anarchistische töne mischen sich mit der Sehnsucht nach der eindeutigen Vorgabe, die den schreibenden von aller kontingenz entlasten soll.

Das schönste beispiel gab vergangene Woche die FAZ. Am montag eröffnete Hans Magnus Enzensberger mit einem halali gegen die obrigkeit und am ende der woche verlangt der leitartikel das machtwort der ministerpräsidenten. Manch einer traute seinen augen nicht: „Es genügt, ihre anweisungen zu ignorieren.“ Und: „Dieser klüngel hat uns nichts zu sagen.“ Der alte Enze-Benze, so nannte der kabarettist Wolfgang Neuss den viel versprechenden Hans Magnus, als dieser noch ein angry young man war, ruft zum zivilen ungehorsam gegen „unsere vormünder“ auf. Erst riecht es nach revolution und führt dann doch zur muffigen vergrundsätzlichung des stammtischs. Enzenberger polemisiert gegen diejenigen, die sich „sklavisch an die vorschriften von amtsinhabern“ halten, „die selber nicht imstande sind, einen vernünftigen deutschen satz hervorzubringen“. Letztere sind die kultusminister. Diesen oberidioten gehorchen die unteridioten „auf die servilste art und weise“. Das sind die lehrer.

Gute gelegenheit, ihnen gleich noch eins überzuziehen. „Sie sind allesamt praktisch unkündbar; selbst einen narren oder alkoholiker loszuwerden, verbietet das beamtenrecht.“ Schon recht. Das sollte man ändern. Aber was hat das mit der rechtschreibreform zu tun? Im ressentiment hängt halt alles mit allem zusammen, und am ende ist der rechthaber der einzige mensch weit und breit, umzingelt von unzurechnungsfähigen.

Gut gebrüllt Enze, aber was tun? Die vollstrecker am stammtisch wissen es. Die rechtschreibung muss chefsache werden, Christian Wulf, bitte übernehmen sie. Der niedersächsische ministerpräsident kündigt nun an, den legasthenikern in der kmk das heft aus der hand zu nehmen, und will mit anderen präsidenten zurück in den alten zustand. Vier landeshäuptlinge, die mitmachen wollen, hat er schon gefunden. Seitdem findet er morgens stapel zustimmender post auf dem schreibtisch und nicht mehr nur den protest wegen sparen und sozialabbau. Was für eine melange. Ein genialischer autor, der führungsanspruch von politikern, denen die anderen felle davonschwimmen, und die rückkehr zur alten schreibweise, gehüllt ins pathos der verweigerungsevolution.

Aber lassen wir uns nicht blenden. Kein weg führt zurück zur alten schreibweise. Alte und neue, wie auch die umgestrickte neue alte rechtschreibung müssen sich vom monotheistischen ersten gebot, habe keine andere orthografie neben mir, verabschieden. Die list des ganzen theaters ist doch erfreulich: der zwangscharakter einer orthopädischen schreibweise ist in deutschland dahin. Manche nennen das chaos. Seit Dudens normierung liefen wir in sprachlichen einlagen. Ausgerechnet die doppelherrschaft von alter und neuer rechtschreibung hat nun in den vergangenen jahren ganz unbeabsichtigt einen zivilisationsgewinn gebracht. Die alte leitdifferenz von „richtig/falsch“, die immer nur eine möglichkeit durchgehen lässt, wird nun im alltag von der überlegenen unterscheidung „möglich/nicht möglich“ durchsetzt und langsam ersetzt. „Möglich/nicht möglich“, das ist etwas ganz anderes als die befürchtete beliebigkeit, gar anarchie im schreiben!

Tatsächlich kehrt in die schrift wieder ein hauch von dem zurück, was die dynamik der gesprochenen sprache auszeichnet. Man stelle sich vor, es gäbe eine rechtsprechkommission? Der erste nebeneffekt wäre, dass viele glaubten, keine rechten sätze mehr bilden zu können, ohne bei ihr nachzufragen. Nein, der regelperfektionismus, in dem sich die anhänger der einen richtigen alten und der allein richtigen neuen schreibweise nur so übertreffen, produziert inzwischen mehr probleme, als er löst, und das schafft dabei etwas neues: kontingenz. Es gibt mehr als eine möglichkeit.

Dass regeln, sobald es mehr als eine gibt, sich aneinander stoßen und nie wirklich aufgehen, das ist nur für pedanten eine not. Es ist tatsächlich ein glück. Ein glück für jede evolution. Wenn die dinge nicht ganz aufgehen, dann gehen sie weiter. Und die sprache ist für die überdeterminierung eines systems, das nicht nur nach einem algorithmus programmiert, das beste beispiel. Seien wir dankbar für die rechtschreibinszenierung. Sie kommt gerade richtig. Der abschied vom strikten entweder-oder-denken steht an. Fehlertoleranz ist der wichtigste begriff in theorien über lernende organisationen. Eine eng ausgelegte rechtschreibung, egal welche, ist eine initiation in eine reduzierte denk- und handlungsgrammatik. Abweichungen werden rot angestrichen und zum ausschuss erklärt. Im übergang zu einer zweiten, nachindustriellen moderne streifen wir diese zwangsjacken ab.

Stellen wir uns also schulen vor, in denen lehrer begründen müssen, wenn sie die schreibweise eines wortes als falsch anstreichen. Man wird dann erkennen, dass es sehr oft mehrere akzeptable möglichkeiten und vor allem, dass es sehr unterschiedliche arten von fehlern gibt. Und natürlich, vieles geht nicht. Man muss sich verständlich machen, einen stil finden. Aber was ist das: rechtschreibung?

Vielleicht sollten unsere Don Quichottes, die in den krieg für die eine ganze richtige rechtschreibung ziehen, zwischendurch mal Goethe lesen. Goethe wusste, das absolute ist tödlich. Es hat, wie jede andere perfektion, keine zukunft.

taz Nr. 7433 vom 12.8.2004, Seite 15, 319 TAZ-Bericht REINHARD KAHL

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