PS 9 Lesen ohne zu lesen

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Reinhard Kahls Kolumne

P.S. Lesen, ohne zu lesen
Lesen wir weiter Uwe Timm: »Der Schü ler aus meiner Grundschulzeit, der die bes ten, weil fehlerfreiesten Diktate schreiben konnte, leitet heute eine Mülldeponie bei Hamburg und sagt, es sei eine wunderba re Beschäftigung, dieses Chaos zu über blicken. Vielleicht ist diese Beschäftigung seine Antwort auf den Rechtschreibzwang, den er fraglos erduldete. Jetzt schreibt und liest er nicht mehr. « Die Passage von Uwe Timm über die Rechtschreibung bekamen kürzlich Ham burger Schüler zu lesen. In die 1 692 Zei chen waren zwölf Schreibfehler einge schmuggelt. Im Rahmen von »Vergleichs arbeiten« sollten alle Zehntklässler die Fehler anstreichen. Welch phantastische Übung in der Selbstreferenzialität schuli scher Kultur! Fehler anstreichen. Und aus gerechnet diesen Text auf eine Pfeifton rückkopplung reduzieren. Pawlowsche Hunde Das Ergebnis fiel erwartungsgemäß mies aus. Die Fehler wurden in der Behörde zu Schulnoten umgerechnet. Danach betrug die Durchschnittsnote für Gymnasiasten 3,7. Sofort begannen die pawlowschen Hun de zu bellen. Dicke Letter auf Seite Eins des »Hamburger Abendblatt«: »Deutsch test überfordert Hamburger Zehntklässler«. Die CDU sprach in genüsslichem Déjàvu vom »verheerenden Gesamtergebnis« und die ängstliche SPDBehörde verwies auf ihren »Maßnahmenkatalog zur Verbesse rung der Rechtschreibung«. Dabei hatte die ser Test mit dem Schreiben doch gar nicht viel zu tun. Die Schüler waren als Korrek toren gefragt. Ein professioneller Korrektor muss möglichst sinnfrei, also ohne verste hen zu wollen und auf den Zusammenhang zu achten, die Wörter möglichst einzeln lesen. Sonst kommt ihm nämlich bei der Fehlersuche das Genie unseres Gehirns in die Quere. Es ergänzt Lücken, stellt Feh ler richtig und übersieht, was einem Kor rektor nicht entgehen sollte.