PS 5 04 Skandinavische Führung

PS 5 04

Skandinavische Führung

„Wenn Du ein sicheres Versteck für einen 100 Finnmarkschein suchst, musst Du ihn in einen Lehrplan stecken,“ sagte man früher in finnischen Lehrerzimmern. Die Pläne waren dick, machten den Lehrern ein schlechtes Gewissen und wurden nicht gelesen. Kürzlich kam ins Opetushallitus, das Zentralamt für die finnischen Schulen, ein japanisches Fernsehteam. Es hatte seine Freude daran die Lehrpläne der letzten Jahrzehnte nebeneinander aufzustellen und abzufilmen. Die Bände wurden in den letzten 20 Jahren immer schmaler. Offenbar verhält sich die Wirksamkeit von Lehrplänen umgekehrt proportional zum Umfang. Zumindest bis zu einer bestimmten Grenze. Die Skandinavier testen diese Grenze aus.

 

Finnische Diät

Die Anfang dieses Jahres veröffentlichten neuen Standards für die Peruskoulu, die neunjährige finnische Gemeinschaftsschule, haben auf 180 DIN A4 Seiten Platz. Im nun fertigen Buch mit Illustrationen und Anhängen wurden es 300 Seiten. Die grundsätzlichen Passagen und die Kompetenzen für den Fremdsprachenunterricht gibt es auch auf Deutsch (bestellen bei myynti@oph.fi). Und schon eine Woche nach der Veröffentlichung Ende März geht die deutsche Fassung weg wie warme Semmeln. Man könnte sagen, diese erlösungsbedürftigen Deutschen. Man kann aber auch beobachten, wie – zumal in Norddeutschland – die Erreger der ansteckenden skandinavischen Gesundheit langsam wirken.

 

An den neuen finnischen Standards wird der Bauplan der anstehenden Veränderung deutlich. Aber der Metaplan des Bauplans liegt in der Art, wie der Plan selbst erstellt wird. So wurden vom Opetushallitus Teams aus Lehrern und Wissenschaftlern in Kommmissionen berufen, die Schülerarbeiten und Tonkassetten aus Schulen im ganzen Land ausgewertet haben, um die „guten Kompetenzen“ heraus zu finden. Die beginnen etwa in den Fremdsprachen mit dem  „Grundbedarf im unmittelbaren sozialen Umgang“, führen über das „Zurechtkommen im Alltag“  sowie den „regelmäßigen Umgang mit Muttersprachlern“ schließlich zum „Zurechtkommen in anspruchsvollen Situationen“. Aber da steht nicht, wann das Partizip Perfekt dran kommt. Man vertraut darauf, das wissen die Lehrer.

Die neuen Standards fragen, unter welchen Lernumgebungen erreichen Schüler hohe Kompetenzen? Statt von oben definiert zu bekommen, was richtig und wichtig ist, fühlt sich der Leser eingeladen nach Bedingungen für das Gelingen der Schule zu suchen. Aus dem Text spricht eine veränderte Grammatik des ganzen Schulsystems.

Die neune Standards schreiben kaum Inhalte vor. Abgesteckt wird der Rahmen, in dem vom Schuljahr 2004/2005 an jede Schule eigene Lehrpläne verfassen soll. Der Text liest sich als Aufforderung an die Kollegien ihren Weg zu finden. Man hat nicht mehr wie früher die wichtigen Inhalte addiert.

Finnland zeigt, wie die Demokratisierung der Bildung von oben betrieben wird. Die Umwandlung der obersten Schulbehörde ist dafür ein gutes Beispiel, im Wortsinn, denn von den Schulen wird nichts verlangt, was die Führung nicht im Selbstversuch vorgemacht hätte.

 

Schlanke Führung

Das Zentralamt für das finnische Schulwesen, wurde im Jahre 1994 neu gegründet. Die frühere Aufsichtsbehörde wurde aufgelöst. Das Amt entwickelt sich seitdem zur Denkfabrik für die Schulen. Es ist aber auch eine normgebende Institution, die dem Ministerium und dem Parlament unterstellt ist und zwischen dem Gesetzgeber und den Schulträgern in den Kommunen vermitteln soll. Die Schulaufsicht wurde 1995 auf Anraten der Schulinspektoren abgeschafft Sie sahen keinen Sinn mehr in der Aufsicht alter Prägung. An deren Stelle trat die Evaluierung. Seitdem weiß man besser über die Qualität der Schulen Bescheid.

 

Schweden ist ja schon seit Jahren auf diesem Weg. Auch dort wurde die zentrale Schulebehörde, wie man sagt, „geschlachtet“. Schulen verfügen über ihren eigenen Haushalt, egal ob es darum geht das Dach zu decken oder mit neuen Lehrern individuelle Gehaltsverhandlungen zu führen Ein dünnes nationales Curriculum gibt Ziel und die Richtung vor. Schulen und Kommunen schreiben ihre Lehrpläne.  Zum Beispiel die Gemeinde Halmstad. Dort heißt der Bildungsplan „Baum der Erkenntnis“. Als Wurzeln werden etwa Demokratie, sprachliche und motorische Entwicklung oder Verantwortung genannt. Man kann nachlesen, wie bereits die Vorschule diese Wurzeln pflegt. Oben in der Baumkrone stehen die Kompetenzen, die Kinder nach der neunjährigen Gesamtschule erworben haben sollen. Dieser poetisch formulierte Bildungsplan gefiel dem deutsch-schwedischen Pädagogen Ehepaar Marianne und Lasse Berger aus Bremen so gut, dass sie dem Druck ihrer Kollegen, diesen Plan zu übersetzen, nachgaben. Ende Oktober 2003 waren die ersten Exemplare gedruckt. Seitdem wurden 5000 Stück verkauft. Ohne Werbung, im  Eigenverlag, nur über Mund zu Mund Propaganda. Wieder ein Beispiel dafür, welch ein Heißhunger nach neuen Lösungen in Deutschland  herrscht.  (7 € kostet das gelungene Buch: berger_LM@web.de)

 

PS.

Der skandinavische Weg ist auch deswegen so interessant, weil er eine Antwort auf ein deutsches Tabu gibt. Was ist gute Führung? Die Antwort liegt wieder mal in der Entdeckung des Selbstverständlichen: „Wer führen will, darf denen, die er führt, nicht im Weg stehen.“  Das wusste schon Laotse

 

PPS.

Am 20, Mai erscheint ein wichtiges Dokument, nicht zuletzt zum Thema Führung: Enja Riegels Buch über die Helene Lange Schule: „Schule kann gelingen“ (S.Fischer)