PS 4 Wir brauchen endlich Bildungspolitik!

PS 4  05

Wir brauchen endlich Bildungspolitik!

 

Die Debatte ist in Gang gekommen. Der Debatte geht schon wieder die Puste aus. Beides stimmt. Jedenfalls, so scheint mir, wird das Bildungsthema derzeit pappig. Die Lust entschwindet. Auf mäßigem Niveau wird darüber gestritten, was Pisa denn beweist. Viel zu wenig wird formuliert, was wir eigentlich wollen. Nun wird es Zeit auf Pisa als Prothese zu verzichten und sich stattdessen seiner Phantasie und des eigenen Verstandes zu bedienen. Die Pisairritation war das produktivste Bildungsereignis seit Jahrzehnten. Sie hat inzwischen viele Menschen erreicht. Wer sich nun aber angewöhnt Pisa zu seinem Hauptargument zu machen, benutzt die Studie nicht zur Erkenntnis – also erst mal um darin zu lesen, was viele, die sich auf sie berufen ja noch vor sich haben, sondern um anderen mit dem gewichtigen Buch auf den Schädel zu kloppen. Damit hätten wir dann Pisa in den deutschen Bildungskrieg zurück geführt. Schule und Lernen würden wie gehabt zum Lass-mich-zufrieden-Thema. Und Sonntags spricht man wieder ungerührt über „die Bildung“.

 

Abschieben  1

Die Indikatoren von Timms, Pisa, Iglu und Co. weisen darauf hin, dass die Länder besser abschneiden, in denen man auf das Abschieben verzichtet. Das gilt fürs Abschieben von Kindern, wie fürs Abschieben der Verantwortung eigenen Handelns. Die selbständige Schule, die sich für ihre Kinder einsetzt und die rechenschaftspflichtig ist, das ist das Grundbild der gelungen Schule nach Pisa. Ein Erfolg. Aber aus den Untersuchungen folgt dieses Bild nicht wie eine logische Schlussfolgerung. Es ist ein politischer Schluss. Warum? Ganz einfach weil eine Studie wie Pisa mit ihren empirischen Korrelationen keine Handlungsanweisungen geben kann. Oder wollte jemand mit dem Blick auf Finnland und Schweden behaupten, weil Lehrer dort weniger verdienen als ihre deutschen Kollegen seien die Schülerleistungen besser, ergo sollte man schleunigst die Gehaltsstrukturen finnlandisieren? 

 

Darin stimmen die nicht immer einigen Pisa-Forscher Baumert, Schleicher und Prenzel überein: aus den Ergebnissen ergeben sich keine zwangsläufigen Konsequenzen. Die drei haben ja auch durchaus unterschiedliche Interpretationen. Sie ziehen andere Schlussfolgerungen. Das ist gut so. Lieber drei Päpste als einer. So kann niemand zum Glauben an die eine Wahrheit verpflichtet werden. Aber die Studien geben Hinweise, starke und schwache. Forscher wissen jetzt besser, wo sie tiefer bohren sollten. Die Handelnden müssen sich ihr eignes Urteil bilden und Strategien ausfechten. Auch Pisaforscher sind als Eltern oder wären als Schulleiter oder Minister von diesen Unsicherheiten nicht entlastet. Handelnde müssen sich immer Urteile bilden, sie können nie aus einem vermeintlich endgültigem Wissen eindeutige Folgen exekutieren. Über diesen Mangel muss man nicht trauern. Er verhindert, dass wir zum bloßen Vollzugsorgan gemacht werden. Die Unsicherheit des Wissen ist Voraussetzung von Politik. Daraus ergibt sich auch: Wenn jemand ein Argument vorbringt und handeln will, darf ihm niemand damit kommen, seine Sache sei ja nicht endgültig bewiesen. Nichts ist in diesen Dingen jemals endgültig bewiesen! Man muss sich also aufeinander einlassen und muss zuhören. Der Respekt, um den es Kindern und Jugendlichen gegenüber geht, beginnt mit einer Bildungspolitik, die wir noch nicht haben.

 

Abschieben 2

Wenn zu meinen skandinavischen Freunden ein Deutscher sagt, „Pisa beweißt doch“, dann blicken sie ungläubig, als hätten sie sich verhört. Tatsächlich sind dort die Grundideen über die Schule Ergebnis politischer Diskurse, an denen die Parteien mitwirken, und die man diesen nicht überlässt. Die prinzipielle Inklusion, die das dortige Bildungssystem auszeichnet, wird von den politischen Akteuren vorweggenommen.  Hingegen haben wir in Deutschland einen Hang zum Glauben an die objektiven Faktoren, an die überragenden Strukturen und an die alles ermöglichenden oder verhindernden Ressourcen. Diese Beschwörung des Objektiven ist auch eine Variante des Abschiebens. Sie dient häufig als Ausrede in der ersten Person selbst zu formulieren, was man will, es auszuprobieren, zu überprüfen und dann immer weiter so. Nie wird man dabei eine gewisse Unsicherheit los. Das ist das Salz der Freiheit. Aber so häufig weiß man hierzulande ganz genau, warum die Ideale, die möglichst hoch gehängt werden, dann nicht zu realisieren sind und wer Schuld daran hat. Also muss man doch gar nicht erst anfangen. Und wenn, dann bleiben viele schon im Grundsatzstreit stecken. Dieser Glaube ans Objektive ist eitel und feige. Er gehört mit zur organisierten Verantwortungslosigkeit.

 

PS

Verantwortlich wäre man in Schulen doch vor allem gegenüber Kindern und Jugendlichen. Doch die kommen in unseren Bildungsdebatte kaum vor, und wenn, dann nur als Beispiele, nicht aber als diese ganz bestimmten Menschen, die wir mögen, um die wir uns sorgen, die wir vielleicht sogar lieben?  Eine Schuldebatte die vom Bedauern darüber angetrieben ist, dass in Schülern viel mehr steckt, führt notwenig an die Grenzen unserer Systems. Wenn man zeigen kann, wie unsere Strukturen zum Prokrustesbett werden, für das  man Menschen amputiert, wird man dieses auf den Müll werfen. Wenn man nur sagt, wir haben das falsche, vorformatierte Bett und dabei die Menschen vergisst, wird man es nur umbauen, aber sich nicht von Prokrustes, diesem schrecklichen Wirt verabschieden, der manchen den Kopf und anderen die Füße abschnitt, damit sie in sein Bett passen.