Präsenz – H. U. Gumbrecht im Gespräch über Sport und Bildung

Präsenz!

Ein Gespräch mit Hans Ulrich Gumbrecht über Fußball, Schönheit und Bildung

von Reinhard Kahl

 

Nur noch Sonntagsreden erinnern an den gemeinsamen Ursprung von Sport und Bildung bei den Griechen. Es wird Zeit diesen Zusammenhang nach vorne zu denken. Vielleicht hilft dieser Versuch auch die überraschende Heiterkeit in Deutschland zu klären. Oder ist die Freude der Menschen am Fußball und an sich selbst doch nur ein Sommertagstraum? Ob die neue Spiellaune in Deutschland weiter geht, könnte sich daran erweisen, ob die Begeisterung am Sport auf ein verwandtes Metier überspringt, die Bildung.

Der deutsche Romanist Hans Ulrich Gumbrecht ist seit 1989 Professor am Department of Comparative Literature der Stanford University. Das folgende Gespräch geht auf eine Veranstaltung des Stuttgarter Bildungsdiskurses im dortigen Literaturhaus zurück.

 

Schönheit ist Zweckmäßigkeit ohne Zweck.“ Dieser Satz von Immanuel Kant durchzieht Ihr Buch „Lob des Sports.“ Er könnte inzwischen ja  fast das Motto der Weltmeisterschaft sein.

Was die Fans anzieht ist ästhetische Erfahrung. Aber man redet so nicht darüber, bisher wenigstens nicht. Wenn Sie dem Fan auf Schalke sagen würden, Du gehst da hin wegen der ästhetischen Erfahrung, dann sagt der wat, ne, wir unterstützen die Junges.

Aber plötzlich überraschen die Fans alle Welt mit einem Fest, dessen Leichtigkeit im Verzicht auf jeden höheren Zweck besteht. Sie feiern einfach, dass sie da sind.

Nicht nur bei den Fans hat sich was getan. Sie schlagen die Zeitung auf, was lesen Sie: Ein wunderschönes Spiel und nicht etwa, Argentinien hat gegenüber der Elfenbeinküste seine Favoritenrolle bestätigt. Das ist vor allem für Intellektuelle ungewohnt. Sie glaubten, ihre Hauptaufgabe liege darin „krittisch“ zu sein. Ich schreibe das Wort manchmal mit Doppel-t. Nur nichts loben. Das war ein schlechter Elitismus in der deutschen Nachkriegstradition. Ästhetische Erfahrung macht man mit Jackson Pollack oder mit französischen Impressionisten. Aber kann im Ernst der Fan auf Schalke ästhetische Erfahrungen machen? Er ist doch das Opfer, sagten wir uns, das wir befreien müssen.

So galt Fußball als Opium fürs Volk. Eine Ersatzidentität.

Oder als Kompensation. Es gibt in Amerika diesen berühmten Aufsatz „Can the Subaltern Speak?“* Natürlich muss die Antwort darauf heißen „nein“.

Das „Lob des Sports“ soll also einen neuen Ton ins Theoriespiel bringen?

Die Arbeit am ganzen Buch hat nur Spaß gemacht. Es ist ja angenehm zu loben. Englisch heißt das  Buch “In Praise of Athletic Beauty,” schwer zu übersetzen, „das Preisen von sportlicher Schönheit.“

Wie bei Pindar…

…genau, Pindar habe ich gemeint und Sappho. Die beiden ältesten Dichter der europäischen Tradition haben schöne Körper gepriesen, weibliche aus weiblicher Perspektive oder männliche aus männlicher Perspektive. Damit fängt die europäische Lyrik an. Es wird Zeit, Kritik wieder als Unterscheidungsfähigkeit zu begreifen. Dazu gehört zu loben, ja auch zu preisen – und natürlich das Gegenteil.

Sie sind häufig in Stadien, besitzen sogar eine Dauerkarte.

Mehrere. Eine für American Football, eine für College Basketball. Beim American Football und Basketball gibt es immer auch die College Versionen, die sind genauso populär und haben genauso viele Zuschauer wie die Profis. Und ich habe auch Season Tickets für Eishockey. Ich sehe zu meinen großen Stolz zwischen fünfundzwanzig und dreißig Eishockeyspiele im Jahr – und sagen wir mal zwanzig Spiele Basketball und zwölf Football – live.

Das sind alles Mannschaftsspiele. Keine Leichtathletik?

Wir haben nach Stanford zuletzt mehr Olympia-Medaillen geholt als ganz Italien oder Frankreich. Aber wenn Sie im Stadion bei Leitathletik zuschauen, stehen sie dort allein mit den Athleten und den Trainern. Populär sind nur Mannschaftssportarten.

Wie kommt das?

Das ist eigentlich erst seit Ende des neunzehnten Jahrhunderts so. In der griechischen Tradition gab es keinen Mannschaftssport. Es hat in englischen Colleges während der 1840er Jahre angefangen. Die Zuschauerzahlen sind vom Ende des 19. Jahrhunderts bis 1930 von fünftausend pro Spiel auf ihr heutiges Volumen angestiegen. Niemand weiß genau warum. Zum ersten WM-Finale 1930 kamen schon fast hunderttausend Zuschauer.

Aber ein bisschen wissen Sie es schon.

Ich habe eine ästhetische Beschreibung und nenne das Schöne im Mannschaftsspiel Epiphanie der Form. Ein schöner Spielzug ereignet sich plötzlich. Den können sie nicht voraussehen. Er zeigt sich. Aber von dem Augenblick an, wo Sie erkennen, dass ein schöner Spielzug zustande kommt, beginnt er schon zu verschwinden. Deswegen rede ich von einer verzeitlichten Form. Zur Epiphanie der schönen Form gehört ihre Flüchtigkeit. Das ist es, was alle fasziniert.

Nicht der Sieg?

Auch. Aber nicht in erster Linie. Es gibt eine Befragung, welches das beste Spiel war, das die deutsche Nationalmannschaft je gespielt hat. Da nennen knapp Dreiviertel der etwas Älteren der deutschen Fußballfans das Halbfinale der Weltmeisterschaft 1970 gegen Italien, das Deutschland in der Verlängerung 4:3 verloren hat. Da konnte man noch nicht auswechseln. Damals hat der junge Beckenbauer mit gebrochenem Arm bis zum Ende gespielt. Ein großartiges Spiel. Dafür wurde im Aztekenstadion in Mexiko-City eine Gedenktafel angebracht.

Daniel Barenboim hat in Berlin gerade einen Musikkindergarten gegründet, damit Kinder mit der Musik die Kostbarkeit und Einmaligkeit von Zeit erleben. So sollen sie auf den Geschmack des Lebens kommen.

Das ist es. Es gibt wohl eine enge Verwandtschaft zwischen Musik und Mannschaftssport. Husserl nannte solche Phänomene „Zeitobjekte im eigentlichen Sinn.“

Das müssen Sie erklären.

Sport, also Bewegung, braucht Zeit, um sich zu entfalten, wie der Ton. Nur wenn man sich im genauen Sinn dieser Worte Zeit läßt, gelingen die Dinge oder man wird Zeuge des Gelingens. Natürlich können Sie, was ja sehr schön ist, klassische Musik auf CD oder einen sehr schönen Spielzug auf Video reproduzieren. Aber dieses erste Mal lässt sich nicht wiederholen. Das ist die Intensität, die ich beim Fußball genauso liebe, wie in der Musik oder in einem guten Seminar. Das sind die Momente von Intensität, die vor allem das Leben für mich lebenswert machen.

Wach und ganz gewärtig zu sein, gehört zum klassischen Bildungsideal. Viele sehen es bedroht. Aber bekommt es von dieser WM nicht unerwartete Flanken zugespielt?

Darauf will ich hinaus. Es geht um Präsenz. „Präesse“ heißt im Lateinischen vor jemandem stehen. Wir sind wechselseitig berührbar. Bei ästhetischer Erfahrung ist seit dem siebzehnten Jahrhundert immer eine Komponente von Präsenz dabei. Das galt zuerst für die Musik. Sie berührt nicht nur das Trommelfell, sondern den ganzen Körper, egal ob ich Mozart oder Janis Joplin höre. Seit dem siebzehnten Jahrhundert heißt aber der gegenläufige Zentralsatz in unserer Kultur „cogito ergo sum,“ ich denke, deshalb bin ich. Diese Kultur lief immer Gefahr, alles Körperliche auszuklammern. Deswegen liegt mir so sehr daran, dass Präsenz eine Komponente des Bildungsbegriffes bleibt.

Präsenz macht offenbar die Faszination des amerikanischen College aus. An deutschen Hochschulen wollen Professoren wie Studenten, wenn die Lehrveranstaltung vorbei ist, schnell weg. Die Hochschule ist nicht gerade eine erogene Zone der Gesellschaft.

In mancher Hinsicht schon. Aber es stimmt. Ein deutscher Professor arbeitet zu Hause und kommt nur zu seinen acht Semesterstunden und um Sprechstunden abzuhalten. Das ging mir nicht anders. Und als ich 1989 das erste Jahr in Stanford war, habe ich so weiter gemacht und mich gefragt, was nur die Amis so lange auf dem Campus machen. Heute verbringe ich tatsächlich den ganzen Tag auf dem Campus. Das produziert eine Art von Intensität, die sehr schwer zu erklären ist. 

Vielleicht geht es auch hier um eine Art Epiphanie? Gedanken im Zusammenspiel zum Erscheinen bringen?

Genau. Aber das alles geht nicht ohne körperliche Präsenz im Raum. Wir werden diese Magie der Präsenz für die Universitäten bald bis aufs Messer verteidigen müssen.

Warum?

Weil einen gut bezahlten Professor und zwanzig Studenten an einem Tisch zu versammeln eine Menge Geld kostet. Diskussion per E-Mail und Vorlesungen im Netz wären natürlich viel billiger. Prognosen für die Universität sagen, dass reine Wissensvermittlung in den nächsten zwanzig, dreißig Jahren fast ausschließlich elektronisch laufen wird. Es wird Zeit sich zu sorgen, dass all das, was man nicht elektronisch ersetzen kann, nicht mitgerissen wird. Dafür braucht man starke Argumente.

Was unterscheidet denn das Gespräch unter Anwesenden von E-Mails oder einem Chat? 

Ein Beispiel. In der frühen E-Mailphase wollte der französische Philosoph, der das Wort postmodern in Zirkulation gesetzt hat, Jean-François Lyotard, ein E-Mail-Seminar mit einer Reihe hochprominenter französischer Intellektueller führen, unter anderen mit Jacques Derrida und Michel Foucault. Dabei ist rein gar nichts entstanden. Ich habe die drei allerdings einmal auf einem Podium erlebt, das war umwerfend produktiv.

Waran liegt das?

Ich denke, was belebend ist, ja was Menschsein bedeutet, hat immer Eros. Nicht bloß Sex. Ich meine die Präsenz von Körpern. Die meisten von uns laufen im Alltag ja so herum als sei der Körper eine evolutionäre Notwendigkeit gewesen, die wir jetzt nicht schnell genug loswerden können. Geht es Ihnen nicht auch so, wenn Sie jemanden treffen, mit dem sie viel E-Mail haben, scheint es ganz überflüssig, dass die Person ein Gesicht hat, das ist fast lästig.

Sie wollen die Universität als bedeutsamen Ort retten oder erneuern?

Heidegger hat das Wort Existenz durch das Wort Dasein ersetzt. Bei Dasein ist immer der Raum angesprochen, zusammen mit Bedeutsamkeit.

Liegt darin ein Geheimnis von Stanford? 

Das ist die unsere Geschäftsgrundlage. Stanford kostet nächstes Jahr für die Familie eines Studenten etwa fünfzigtausend Dollar –  pro Jahr. Nicht für alle, es gibt für junge Leute aus nicht so wohlhabenden Familien Stipendien. Dafür garantieren wir den Studierenden, die mit achtzehn ins College kommen, in den ersten beiden Jahren je ein Kleingruppenseminar bei den besten Professoren, nicht wenige davon mit einem Nobelpreis. Die Erwartung im College ist nicht, dass am Ende der vier Jahre College eine Berufsausbildung steht. Selbst wenn Sie Ihren BA in Electrical Engneering machen, dann sind Sie kein ausgebildeter Computeringenieur, auch wenn Sie das Fach in den letzen beiden Jahren vertieft haben. Wissenschaftliche Exzellenz kommt im Masterstudium. Die Erwartung ans College ist tatsächlich reine Bildungserwartung. 

Wäre das nicht wieder die kantsche „Zweckmäßigkeit ohne Zweck?“

Könnte man wohl sagen.

In Deutschland misstraut man dieser Absichtslosigkeit und glaubt häufig nicht, welche Erfahrung von Wirksamkeit dabei erzeugt wird. Im englischen kann man so schön unterscheiden zwischen efficay und efficiency, also zwischen Wirksamkeit und Effizienz.

Dabei kommt doch der schönste Text zu diesem Thema aus Berlin. Wilhelm von Humboldt nannte in seiner Denkschrift zur Gründung einer Universität 1810 als ihre wichtigste Funktion die Produktion neuer Probleme, offener Fragen.

Das hätte auch Niklas Luhmann sagen können.

Das ist auch Luhmann wörtlich. Die Institution, die Lösungen weiter gibt, ist für Humboldt die sekundäre Bildungsinstitution, das Gymnasium. In den Seminaren und Laboren der Universität hingegen soll der unterschiedliche Enthusiasmus verschiedener Generationen aufeinander treffen und sich wechselseitig inspirieren. Studenten haben, gerade dann wenn sie naiv sind, Ideen, die der Professor gar nicht haben kann. Auf der anderen Seite steht die Erfahrung des Professors. In solcher Wechselseitigkeit liegt intellektuelle Produktivität. Die kann keiner für sich allein haben.

Das klingt für deutsche Ohren im Jahr 2006 luxuriös. Ganz unwirklich.

Ist aber enorm praktisch. Wer einmal diese Intensität erlebt hat, kann jedes praxisrelevante Wissen ganz schnell nachlernen. Aber erst mal kommt, wie man bei uns sagt,  „broadening your mind.”

Wie finden sie, dass die deutsche Übersetzung von Bachelor jetzt „ein erster berufsqualifizierenden Abschluss“ heißt?

Das treibt einem Tränen der Rührung ins Auge. Wozu braucht ein Land mit einer so langen , eigenen und glorreichen  akademischen Tradition wie Deutschland den fremden BA-Titel? Es ist natürlich ein Treppenwitz, der BA ist genau der Titel, den man im englischen oder amerikanischen College für eine Prise Bildung bekommt, eben nicht für eine Ausbildung.

 

Und die Wirtschaft verlangt in Kalifornien keine Fachleute?

 

Im Silicon Valley sind Absolventen mit geisteswissenschaftlichen Schwerpunkten begehrt. Die entsprechende Fachausbildung erfolgt dann im Training on the job. Nicht zuletzt weil sich die Anforderungen der Wirtschaft an ihre Mitarbeiter schnell ändern. Die Unis würden ihren Studenten veraltete Fähigkeiten beibringen. „We have to unteach them“, heißt es, wenn die Unis Studenten mit derartigem Fachwissen kommen. Also die Frage nach der Berufsrelevanz stellt sich in Stanford kaum.

Aber man muss doch weltweit Antworten darauf finden, dass heute im Durchschnitt der OECD, also der Industrieländer, fünfundvierzig Prozent der jungen Leute studieren.

Natürlich gibt es keine Chance mehr für die Universität wie Humboldt sie sich vorgestellt hat, wenn sie überhaupt je so existiert hat. Bestehen sollten wir aber doch darauf, dass diese Erfahrung, die Humboldt vorschwebte und die man in Stanford tatsächlich macht, in kleinerem Rahmen und für kürzere Zeit für sehr viele möglich wird.

Wie soll das gehen?

Man müsste vielen die Gelegenheit zumindest für ein halbes Jahr geben, sich in Situationen zu begeben, wie sie Humboldt beschrieben hat. Das wäre heute die Chance, auf die es ankommt. Ich würde nur sie Bildung nennen. Mein Ideal ist gar nicht elitär, meine Angst ist, dass diese Erfahrung für alle verloren geht. Viel von dem, was heute die Universität als Berufsausbildung treibt, kann effizienter und kostensparender direkt in Betrieben vermittelt werden. Die japanische Universität ist nicht gerade der Traum meiner schlaflosen Nächte. Aber man geht in Japan davon aus, dass das für den zukünftigen Beruf spezifische Wissen in Betrieben weiter gegeben wird.

Aber so viele Nobelpreisträger und Starprofessoren a la Stanford für die einschlägigen Bildungserfahrungen gibt es doch gar nicht.

Braucht man auch nicht, um Momente intellektueller Intensität zu erfahren. Ich komme noch mal zum Sport. In Amerika gibt es diese DVDs mit den siebenhundert schönsten Basketball- oder Footballspielzügen der Geschichte. Darum geht es gerade nicht. Es geht um Beteiligung, die man auch als Beobachter erfährt, es geht um Präsenz, um die Möglichkeit zum Gespräch und sogar auch um eine gewisse Naivität.

Es gibt doch diese schöne Antwort von Albert Einstein, auf die Frage, wie er sich seine Leistungen erklärt. Er hat gesagt: „Dass ich das ewige Kind geblieben bin.“

Ja, es geht auch um Möglichkeiten zum Spielen. Da gibt es eine Ähnlichkeit von Jazz, Mannschaftssport und Bildung: Seinen Einsatz finden, die anderen anspielen, auf Möglichkeiten lauern. In der Theoriesprache heißt das Kontingenz nutzen. Es gibt viele Möglichkeiten – und vor allem keine Garantie dafür, dass eine Sache gelingt.

Wenn von der Gesellschaft, nicht zuletzt von Unternehmen, dieser Sog nach Spielräumen, nach Kreativität ausgeht, dann könnten Sie doch zuversichtlicher sein.

Vielleicht ist es so, dass diese Intensität bloß an den Universitäten, so wie sie geworden sind, heute kaum noch Chancen hat. Dann wird aus dieser Einrichtung, die man weiterhin Universität nennen wird, etwas anderes als ihre Tradition und die Intensität von Bildung entsteht an anderer Stelle.

Was ist denn Bildung?

Mein Versuch einer Definition: Bildung ist das, was uns instand setzt, riskant zu denken. Das ist die Art eines Denkens, die man sich in den meisten Alltagssituationen nicht leisten kann. Bildung heißt also nicht viel gelesen oder viel Musik gehört zu haben, sondern in Alternativen denken können. Das muss gar nicht einmal immer gegen den Strom sein.

Aber man studiert auch wegen der Karriere.

Ob es eine große Karriere wird, kann man nicht wissen. Ich werde sehr oft von jungen Kollegen nach meinem eigenen „Career-Management“ gefragt. Meine Standardantwort ist immer die gleiche und nur scheinbar banal: Try to have as much fun as you can. Was nicht bedeutet, dass man nicht viel arbeiten soll. Man soll die Sachen machen, die einen interessieren. Man soll verfolgen, was einen fasziniert. Das ist die Sprungfeder für riskantes Denken.

Könnte das nicht etwas monomanisch, fast autistisch werden?

Gesprächs- und Irritationsbereitschaft müssen zu dieser Faszination hinzu kommen. Eine Forschungsgruppe in Cambridge hat versucht heraus zu bekommen, worin die Genese des Autismus liegt. Sie haben viele Interaktionen in den ersten Wochen zwischen kleinen Kindern und Müttern beobachtet. Sie fanden den Hauptgrund für Autismus darin, dass Erwachsene mit dem neugeborenen Kind bestimmte Bewegungssequenzen nicht vollziehen, die denen eines Gesprächs entsprechen.

Liegt nicht auch in den gelungen und misslungenen Zügen eines Spiels gewissermaßen eine Gesprächsstruktur?

Ich verwende dafür gerne eine Metapher, die aus dem American Football kommt, Interception. Ein Pass wird von einem gegnerischen Spieler abgefangen. Der Meister der Interception war Siegmund Freud, weil er über seine eigene Kindheit und über das problematische Verhältnis zu seinen ehemaligen Schülern nachgedacht hat. Das alles wurde produktiv, weil er nicht nur zielgerichtet darüber gedacht hat, sondern weil er sich diese schwebende Aufmerksamkeit gestattet hat.

Diese schwebende Aufmerksamkeit bewundert man auch bei Ballack und Klose, wenn sie blitzschnell abgeben und den Ball  zum Tor verwandeln.

Verwandeln, das ist das Wort für unser nächstes Gespräch. Ganz geistesgegenwärtig sein, egal ob es um eine Idee, eine Chance oder um den Ball geht, den man zum Schluss natürlich ins Tor setzen will.



* Gayatri Chakravorty Spivak, 1988