Popanz der Pedanten

Der Popanz der Pedanten

Das Theater um die „neue“ Rechtschreibung geht weiter: Heute legen die Kultusminister eine marginale Reform der Reform vor – die Gegner fordern eine Rückkehr zur alten Schreibweise
VON REINHARD KAHL

Vielleicht sollten unsere Don Quichottes, die dieser Tage wieder mal in den Krieg für die eine ganz richtige Rechtschreibung ziehen, zwischendurch mal Goethe lesen. Er sagte: „Ihr seht schon ganz manierlich aus, kommt mir nur nicht absolut nach Haus.“ Das Absolute ist tödlich. Es hat, wie jede andere Perfektion, keine Zukunft.

Die Doppelherrschaft von alter und neuer Rechtschreibung hat in den vergangenen Jahren ganz unbeabsichtigt einen enormen Zivilisationsgewinn gebracht. Die alte Leitdifferenz von „richtig – falsch“, die immer nur eine Möglichkeit durchgehen lässt, wird nun im Alltag von der überlegenen Unterscheidung „möglich – nicht möglich“ durchsetzt und langsam ersetzt.

„Möglich – nicht möglich“, das ist etwas ganz anderes als die befürchtete Beliebigkeit, gar Anarchie im Schreiben! Mit „Möglich – nicht möglich“ kehrt in die Schrift wieder ein Hauch von dem zurück, was die Dynamik der gesprochenen Sprache auszeichnet. Da gibt es zwischen dem Hamburger und dem bayrischen Sound, zwischen Görlitz und Aachen doch auch Platz! Wäre die Liquidation der Varianten ein Gewinn?

Vor allem muss man verstanden werden. Und die Sprache sollte möglichst elegant, vielleicht sogar etwas erotisch klingen. Man stelle sich vor, es gäbe eine Rechtsprechkommission? Der erste Nebeneffekt wäre, dass viele glaubten, ohne bei ihr nachzusehen oder nachzuhören keine rechten Sätze mehr bilden zu können.

Nein, der Regelperfektionismus, in dem sich die Anhänger der einen richtigen alten und der allein richtigen neuen Schreibweise nur so übertreffen, produziert inzwischen mehr Probleme, als er löst – und dabei ebendiesen wunderbaren Nebeneffekt, der sich als Hauptwirkung herausstellt. Das wissen wir ja von Theoretikern der 2. Moderne, wie Ulrich Beck: Die Vielfalt unbeabsichtigter Nebeneffekte geht über die braven Ziele und all die Planerfüllungserfahren, zumal der Bildungsplanwirtschaft.

Dabei könnte Konrad Dudens Maxime, die er vor 100 Jahren gegen die Kultusmandarine seiner Zeit erhob, durchaus wieder Regel werden: „Schreib, wie du sprichst!“ Aber in Rechtschreibkommissionen & Co. wird ja nicht gesprochen. Da werden Papiere gemacht. Die Rechthaber und Fehlerankreuzer sind unter sich.

Nach der einen Dogmatik sollen wir belämmert mit ä schreiben, nach der anderen „belemmert“ mit e. Dass Regeln, sobald es mehr als eine gibt, sich aneinander stoßen und nie wirklich aufgehen, das ist nur für Pedanten eine Not.

Es ist tatsächlich ein Glück. Ein Glück für jede Evolution. Wenn die Dinge nicht ganz aufgehen, dann gehen sie weiter. Warum nur, fragt man sich, nun schon seit Jahren dieses Theater in den Feuilletons und nun auch auf den skandalfreudigen Vorderseiten der Zeitungen? Es wird der Popanz einer zentralstaatlichen Geheimloge aufgebaut, die uns nun wie ein ZK für die Sprache an seine Fäden nehmen will. Ach Gott. Die meisten schreiben doch sowieso, wie sie wollen.

Wie sie wollen? Von der Betonung dieses Satzes „Wie sie wollen“ hängt doch alles ab. Die behauptete Beliebigkeit und gefürchtete Verwahrlosung, „die schreiben, wie sie wollen“, ist nicht von großem Vertrauen geprägt.

Dann braucht man keine Regulative, sondern Vorschriften. Aber wenn man mit etwas Achtung sagt, der schreibt, wie er will, dann könnte es doch sein, er oder sie will etwas und das ist alles andere als banal.

Und jetzt mal im Ernst. Wer morgens die FAZ liest, mit der alten Rechtschreibung, die dort geheimnisvoll die „bewährte Rechtschreibung“ genannt wird, und dann zur Süddeutschen greift, mit ihrer nach eigenen Redaktionsregeln modifizierten neuen Rechtschreibung und dann vielleicht noch zur taz, fällt dem überhaupt was auf? Ob „achtmal“ nun mit oder ohne Bindestrich geschrieben wird, groß oder klein, ist das wichtig?

Also halten wir es mit dem Meister aus Weimar: „Ihr seht schon ganz manierlich aus, kommt mir nur nicht absolut nach Haus.“

Goethe war gar nicht zimperlich, er schrieb seinen Namen mal mit h und mal ohne, das sollte ein Schüler mal wagen! Ja, er sollte es wagen. Und er sollte Goethe, der übrigens ein großer Freund von Fehlern war, lesen und nicht die – schon sprachlich elenden – Papiere der Rechtschreibkommissionen.