Panisch depressiv DRadio Signale

DeutschlandRadio Berlin – 19. Februar 2004 • 17:15
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8.2.2004
Panisch-depressiv
Wie man Elite-Unis herbeizaubert und wie man sie wirklich macht
Von Reinhard Kahl
Reinhard Kahl (Foto: privat)
Reinhard Kahl (Foto: privat)
Nach dem Jahr der Einsparungen und Zuzahlungen soll das nun schon in die Wochen gekommene neue Jahr eines der Innovation und der weltmeisterlichen Spitzenleistung werden. Potz Blitz! Aber was ist das eigentlich, Innovation? Es ist ein fast autistisches Wort, ja ein Fetisch. Er soll funkeln. Ein Zauberstab in der Hand des Kapitäns auf dem Dampfer Germania, der ziemlich orientierungslos vor sich hin schrödert. Und da tönt es nun von der Brücke: „Brain up! Deutschland sucht seine Spitzenuniversitäten.“ Man glaubt es kaum, aber mit dieser PR-Sprache kommt die Bundesregierung jetzt tatsächlich den Universitäten. Hört sich nach Appell an und ist wohl auch so gemeint. Eine Mischung aus Kasernenhof und Casting, aus Planwirtschaft und New Economy.

Die Kampagne hat etwas manisch-depressives. Deutsche Hochschulen überbieten unsere Schulen bei weitem auf der Verwahrlosungsskala. Studenten fühlen sich wie Findelkinder auf dem Bahnhof. Auch viele Professoren betreten die Uni nur zur eigenen Veranstaltung. Die Gesellschaft geizt mit Anerkennung und die Politik mit Geld. Nun gesteht man die Misere ein, bekennt sich sogleich zur Elite, ohne zu klären, was damit gemeint sein soll, und flugs folgt diese an Realsatire erinnernde Kampagne. „Brain up!“ Abrakadabra, nun gibt es sie plötzlich, die eben noch zu Recht vermissten Spitzenunis, man muss sie nur noch aussuchen, exakt: die Unis müssen Anträge stellen. Das erinnert nun an einen Staatsratbeschluss der verblichenen DDR, die auch mit Fünfjahresplänen zum Erreichen des Weltniveaus nicht geizte. Muss man diese neueste Münchhausiade nicht eher panisch-depressiv nennen?

Und schon beginnt das Schaulaufen. Statt sich zu erneuern, beginnen die Hochschulen sich schminken. Sie werden jetzt PR Agenturen engagieren und ihre letzten Cents in Hochglanzbroschüren stecken. Der Hamburger Uni Präsident zum Beispiel schlägt vor, sein Haus solle mit der Kunsthochschule und der Technischen Universität Hamburg Harburg fusionieren, um sich so für die ausgeschriebene Elite zu stärken. Genau das Gegenteil wäre richtig. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit dem Physiker Hans Günther Danielmeyer. Bevor er zu Siemens in den Vorstand wechselte, war er Gründungspräsident jener Technischen Universität Hamburg Harburg, die nun zum Zwecke der Elite geschluckt werden soll. Seine Grundidee war, eine gute Universität muss übersichtlich sein. Wenn der Bedarf steige, lieber eine zweite daneben setzen. Wenigstens 15 Prozent ihrer Zeit sollte den Wissenschaftlern für Informelles bleiben. Es müsste sich einfach ergeben, dass zum Beispiel ein Maschinenbauer einen Biochemiker trifft, und dass sich dann vielleicht die Ideen und Probleme des einen mit den Nöten und Überschüssen des anderen zu etwas nicht Planbarem kreuzen. Die Hochschule also ein Treibhaus für geistige Mutationen und ein Kloster für deren Prüfung. In solchen Klimaräumen muss so verschwendirisch mit Möglichkeiten gespielt werden können, wie es die Natur in der Evolution vor gemacht hat.

Hans-Jörg Rheinberger, er ist Direktor am Max-Planck Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin, zoomt in seinen Forschungen ganz nah an das Thema Innovation heran. Wie ein Archäologe durchsucht er die Disziplinen und fand, dass nach den entscheidenden Entdeckungen gewöhnlich nicht gesucht worden ist. Man stieß auf sie, als etwas anderes ergründet werden sollte. Aber auch absichtloses Forschen ist kein Königsweg. Der Blick muss Ziele fokussieren und zugleich muss die Aufmerksamkeit anderes als das Gesuchte wahrnehmen können. In seiner Studie über die Entdeckung der Proteinsynthese zeigt Rheinberger, wie in einem Labor in Boston nicht zuletzt Abweichungen, die an künstlerische Verfahren erinnern, zum Erfolg beigetragen haben. Das Neue kommt als Unvorhergesehenes zur Welt. Es lässt sich weder im Rahmen eines theoretischen Systems, noch als experimentelle Notwendigkeit prognostizieren. Damit das Neue eine Chance bekommt, braucht es neben guter Atmosphäre und Neugier noch etwas Drittes. Die Mutter aller Innovation, verblüfft Rheinberger, sei das Missverständnis: „Wir gehen nie weiter, als wenn wir uns missverstehen,“ schreibt er und fährt fort: „Das Differential des Missens ist dasjenige, was bewirkt, dass es sozusagen haarscharf daneben gehen kann. In diesem haarscharfen Spalt tut sich ab und zu etwas Neues auf.“ Der Biologe und Nobelpreisträger Francoise Jacob nannte Labore, in denen das gelingt, „Maschinen zur Herstellung von Zukunft“.

Aber was ist Zukunft? Aufschlussreich ist die japanische Tradition, die dafür gar kein Wort hatte. Zukunft war vielmehr eine Lücke, die man in der Gegenwart lässt. In ihr nistet sich gewissermaßen Zukunft ein. Eine, die man plant, oder schon zu kennen meint, ist keine. Unter der falschen, aber laut knatternden Flagge Zukunft wird sie vernichtet. Man möchte den Fetischisten von Innovation und Zukunft einen Satz von Schopenhauer hinterher rufen: „Alle arbeiten sie für die Zukunft, dieser opfern sie ihr Daseyn; und die Zukunft macht Bankrott.“

Reinhard Kahl, Produzent und Publizist, geboren 1948, studierte Erziehungswissenschaften, Philosophie, Soziologie und Psychologie in Frankfurt und Hamburg. Produzent von Fernsehdokumentationen und Publizist. Mitarbeit u.a. in DIE ZEIT, WELT und taz. Kolumne ‚P.S.‘ in der Zeitschrift PÄDAGOGIK. Im Hamburger Literaturhaus ist Kahl Gastgeber des monatlich stattfindenden ‚Philosophischen Cafés‘.



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