Nachlese Hamburger Bildungsdiskurs 11.9. 06

11. September 2006 | Gespräch

Hamburger Bildungsdiskurs
mit Reinhard Kahl

Baustelle Schule

»Wir müssen in der Schule nicht nur Wissen, sondern auch Kompetenzen und Werte vermitteln. Schüler brauchen ein Umfeld, in dem sie sich ausprobieren und individuelle Lösungen für konkrete Probleme erarbeiten.« Mit diesen Worten leitete Dr. Lothar Dittmer, verantwortlich für den Bereich Schule und Hochschule in der Körber-Stiftung, den fünften Hamburger Bildungsdiskurs zum Thema »Baustelle Schule« ein. Zu Gast war der Schweizer Reformpädagoge, Lernberater und Besitzer des Instituts Beatenberg Andreas Müller.

»Kinder müssen Schule als Ort begreifen, an dem man erfolgreich sein kann. Wenn das nicht gelingt, werden diese Orte außerhalb der Schule gesucht. Erst wenn das Lernen zur eigenen Sache wird, hört man auf, die Verantwortung für den Lernerfolg an Andere abzugeben.« Andreas Müller, der das Institut Beatenberg zu einer der innovativsten Reformschulen der Schweiz entwickelt hat, gab als Internatsdirektor schon vor Jahren den traditionellen Unterricht auf. Statt dessen setzten die Schweizer sehr erfolgreich auf selbstorganisiertes Lernen, individuelle Förderung, gezielte Arbeitsplanung und aktive Freizeitgestaltung. Das herkömmliche Klassenzimmer ist zugunsten großzügiger Lernoasen verschwunden. Gezielt wird in Niveaugruppen für das Basiswissen gearbeitet und jeder Schüler von einem persönlichen Coach begleitet.

»Der Vergleich mit sich selbst ist viel motivierender als ein System, dass unterschiedlich begabte Schüler untereinander vergleicht.« Andreas Müller kritisiert das traditionelle Notensystem und den Hang der Lehrenden zu Tests und Wissensabfragen. »Was ist das für ein System, in dem die Durchschnittsnoten der Zukunft schon feststehen, obwohl man die Kinder noch gar nicht kennt?« In Beatenberg versucht man über klar verständliche Kompetenzraster einen objektiveren Vergleichsmaßstab zu formulieren: Neben jedem Arbeitsplatz befindet sich ein Baustellenschild, das die angestrebten Lernziele und die Entwicklung der persönlichen Stärken und Schwächen jederzeit sichtbar macht.

Für Schulen und Lehrer, die den konsequenten Umbau nicht wagen, hat Andreas Müller auch ganz praktische Empfehlungen. »Fragen Sie sich immer, was bei einer konkreten Reform im schlimmsten Fall passieren könnte. Das erleichtert häufig die Entscheidungsfindung. Und beziehen Sie die Eltern schon bei den Vorüberlegungen zur Lösung eines Problems ein, nicht erst, wenn die Entscheidungen schon gefallen sind!«

»Lernen steckt an« heißt ein Buch von Andreas Müller. Beim fünften Hamburger Bildungsdiskurs war es eine Freude, als Zuhörer infiziert zu werden.