Nullfehlerfussball und wunderbare Fehler

NULLFEHLERFUSSBALL
UND DIE WUNDERBAREN FEHLER

Wie sähe eigentlich Fußball aus, wenn er dem zumal in Schulen verbreiteten Nullfehlergebot genügen müsste?

Mannschaft Blau hat Anstoß. Spieler A gibt den Ball zu Spieler B, der zu C und D schießt ihn ohne Makel ins Tor. Dann ist die grüne Mannschaft dran. Spieler A flankt zu B, der weiter zu C, welcher den Ball sogleich verwandelt. Alles völlig fehlerlos. Natürlich würde sich niemand so ein Spiel ansehen. Keiner würde mitspielen. Es wäre ja gar kein Spiel. Nullfehlerfußball wäre ein solches Nichts, dass es ihn gar nicht geben kann.

Tatsächlichen gelingen auch der genialsten Mannschaft selten Kombinationen über mehr als zehn Stationen. Dann kommt etwas dazwischen. Ein Gegenspieler, ein Stolperer oder ein Missverständnis.

Deshalb ist das Fußballspiel so faszinierend. Es inszeniert die Geheimgrammatik der Kultur. Neues entsteht dadurch, dass etwas dazwischen kommt. Dann kommt es darauf an, etwas draus zu machen. Das kann gelingen und misslingen. Der Philosoph Odo Marquard, macht klar, dass wir Menschen genau deshalb „Geschichten sind“ und nicht nur eine Geschichte haben. Dafür gibt er ein einfaches Beispiel. Seine Frau ist ihm in seinem Leben natürlich dazwischen gekommen. Planen konnte er sie nicht bevor er sie kannte. Das Kommando der Fehlerfreiheit, das Misstrauen der Fehlerinquisition und die Illusion des Plans sind verwandt! Ist es nicht merkwürdig, dass die Bildungsplan-Wirtschaft die einzige Planwirtschaft ist, die uns geblieben ist? Wird daran nicht etwas über die Misere des Lernens in Schulen und Hochschulen deutlich?

Auch in der Natur gilt, dass wir ohne Mutationen einsame Einzeller geblieben wären. Lediglich in trivialen Systemen gelten Fehler zurecht als Feinde. Das sind Systeme, die einfach nur funktionieren sollen. Da gehören gehören Fehler tatsächlich verboten. Sie dürfen auf keinen Fall abstürzen. Zum Beispiel Flugzeuge und Computer. Das Gebot der Fehlerlosigkeit gilt also für den Maschinenraum der Gesellschaft. Aber selbst dort sind Systeme, die keine Fehler vertragen, Atomkraftwerke etwa, gefährlich. Außerhalb des Maschinenraums hat das Gebot der Fehlerlosigkeit nichts zu suchen. Es ist Gift für lebendige Systeme.

Wir beobachten die Wirkung dieses Gifts auf vielen Schauplätzen. Es läßt Leben auf Überleben schrumpfen. Bloßes Funktionieren, bitte kein Risiko, keinen Fehler! In den Schulen wird Durchkommen das Hauptfach, das allerdings von den Schülern zugleich geschwänzt wird. Was allerdings die verbreitete Egal- oder sogar Scheissegal-Haltung erstmal nur noch verstärkt. Überall soll man sich optimieren. Auch entwicklen? Erschöpfung, eine Nebenwirkung dieses fatalen Drucks wird zum Haupteffekt. Die Diagnose Erschöpfung erhalten immer häufiger schon Kinder. „Erschöpfungsdepression“. Eine andere „Nebenwirkung“ ist das Schrumpfen von Zukunftserwartungen. Anstrengung nimmt zu, aber die Aussicht auf Fortschritt oder persönlichen Aufstieg nimmt ab. Es ist wie beim Anrennen gegen die abwärts fahrende Rolltreppe. Man verausgabt sich um wenigstens nicht weiter nach unten zu geraten. Dabei verstehen oder ahnen zumindest die meisten schon, dass das alte Lebensgefühlt „Rolltreppe aufwärts“ vorüber ist. Die Versprechen von Wachstum und dem ständigen Mehr, Mehr, Mehr, sie sind keine mehr.

Dieses Mehr, also Wirtschaftswachstum, besteht inzwischen überwiegend darin, dass weitere Provinzen der Lebenswelt in den Sog von Kommerzialisierung geraten. Die Geschäftsmodelle zur Verwertung der Lebenswelt bringen einigen Profite, aber den meisten Enteignungen und Entwertungen ihrer Person und ihrer Tätigkeiten. Eric Schmidt, Chef von Google, preist als Gewinn der Digitalisierung etwa, dass man künftig den Platz von Küchen fürs Wohnen gewinnt. Dann wird das Essen gegoogelt und von Drohnen eingeflogen. Ein Leben, in dem wir nicht mehr selbst kochen und in dem die Hyperkonsumenten in ihren wegen gestiegener Mieten schließlich doch verkleinerten Wohncontainern aus den zentralisierten Netzwerken mit Glückseligkeit bespielt werden. Was für ein blödes, böses Schlaraffenland!

Eine merkwürdige Symbiose von Hyperkonsum und Maschinen findet unter dem Vorzeichen des Funktionierens, der Fehlerfreiheit und der Perfektion statt. Von der Perfektion sagte T.S. Elliot sie hätte keine Zukunft. Ihr fehlt das Offene und Unvollkommene, aus dem Zukunft entsteht.

Unser Verhältnis zum Fehler ist so etwas wie ein mentaler Lackmustest. Er Unser macht den Unterschied zur Maschinengrammatik.

Bei dem sich heute so enorm ändernden Verhältnis zwischen Mensch und Maschine, darum geht es bei der allseits beschwornen „Digitalisierung“, stellt sich überall die Frage, ob die Logik von Maschinen mit ihrem ersten Gebot fehlerfreien Funktionierens dominieren wird, oder ob nicht doch  eine neue Chance für den spielerischen menschliche Geist entsteht.

Wir lesen dauern von Maschinen als unseren Konkurrenten in der Arbeitswelt. Sie übernehmen nicht mehr nur Handgriffe, sondern bald alle standardisierbaren Aufgaben. Nun besiegen sie uns sogar im Spiel. Nicht nur beim Schach, sondern im noch komplexeren Go-Spiel. Die Computer so hören wir, sind einfach intelligenter als wir.

Diese Vergleiche, die auf die Unterlegenheit von Menschen gegenüber Maschinen hinauslaufen, machen den Denkfehler – auch den Gefühlsfehler, dass wir eigentlich auch Maschinen seien, Denkmaschinen. Wenn wir uns als Kraftmaschinen mit Baggern oder Flugzeuge vergleichen, käme niemand auf Unterlegenheitsgefühle, denn von diesen Megawerkzeugen unterscheiden wir uns ja als intelligente Wesen. Aber nun angesichts künstlicher Intelligenz,  wo mir mein Computer intelligente Postfächer anbietet und sogar von intelligenten Fabriken die Rede ist, was bleibt uns noch außer dem verdächtigen Komplex von Gefühlen und Irrationalität?

Erinnern wir uns an Immanuel  Kant. Vernunft war für ihn Sinnlichkeit und Verstand. Beides. Aber im Laufe der Industrialisierung ist die Gesellschaft durch die harte Schule der Entsinnlichen gegangen. Die Wiederkehr der Sinne bleibt in Abspaltungen hängen – vorwiegend in der Konsumsphäre.

Wie können wir uns von Computern abgrenzen? Der italienische, in Cambridge lehrende italienische Philosoph Luciano Floridi beschäftigt sich seit Jahren mit dem Mensch-Machine-Verhältnis. Was unterschiedet für ihn uns Menschen von Computern,  bzw. Maschinen?

„Software sieht nicht und hat keine Intuition“, sagt Floridi und fragt selbst weiter: „Können Roboter Dinge besser als wir? Ja. Können sie es wie wir machen? Nein. Der Computer hat keine Absichten  keine Plan, keine Gefühle.“ Unsere Besonderheit findet er nicht dort, wo Maschine perfekt sind. „Eigentlich ist der Mensch“, sagt er „ein Ausrutscher, ein Fehler. Womöglich der schönte Fehler, den die Natur je gemacht hat. Eigentlich dürfte es uns gar nicht geben. Wir sind eine Anomalität.“

Auf die Frage, ob sich der Mensch nicht vielleicht doch reproduzieren ließe, wägt Floridi kurz ab.“Schon, aber das ist höchst unwahrscheinlich. Wenn Sie eine Haufen Gläser hier gegen die Wand werfen würden: Wie oft lägen die gleichen Muster da. Genauso ist es mit dem Menschen. Diese spezielle Art der Intelligenz, des Umgangs mit der Sprache, mit Gefühlen, das ist einzigartig.“

 

Zu diesem Thema auch der Beitrag „NDR Kultur: Werkzeuge oder Prothesen“ (vom 1. Juli)