Einfach bei sich selbst anfangen – Elbe Jeetzel Zeitung

Lokales aus dem Landkreis Lüchow-Dannenberg


Einfach »bei sich selbst anfangen»

Der Journalist Reinhard Kahl über gelungene Schulen als »Treibhäuser der Zukunft»

by Dannenberg. Reinhard Kahl hält nichts davon, die Schuld, dass Schule so ist, wie sie ist, auf die jeweiligen Kultusminister zu schieben. »Wer ist Herr Busemann?» fragt er am Freitagabend trocken ins Publikum zurück und beantwortet die Frage nach praktischen Tipps für eine bessere Schule mit einem Zitat des amerikanischen Management-Vordenkers Peter Senge: »Wir haben den Feind lange gesucht.

Bild 1714137 Wir haben ihn gefunden. Wir sind es selber.» Lehrkräfte sollten den Mut haben, sich Schule anzueignen, Bündnisse zu schließen und sich Zeit nehmen für Veränderungen, sagte Kahl vor rund 200 Eltern und Lehrkräften in der Aula der Dannenberger Hauptschule. Eingeladen hatten ihn die Grünen-Stiftung »Leben und Umwelt» sowie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.

Der Journalist und Regisseur beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Schule und Bildung. Unlängst hat er einen Film über »gelungene Schulen» in Deutschland gedreht: Eines dieser »Treibhäuser der Zukunft», so der Filmtitel, ist die katholische Bodensee-Schule in Friedrichshafen. Deren Rektor findet, dass man auch als Lehrer eines Tages sagen muss, jetzt wollen wir etwas ändern. Er rät dazu, als allererstes das »elende 45-Minuten Raster» abzuschaffen: »Klemmt ein Tempotaschentuch zwischen Hammer und Glocke – und schon tönt sie nicht mehr». Die Bodensee-Schule ist so, wie sich viele Schule wünschen, aber sie ist eine Ausnahme. Das Dannenberger Publikum machte das, was es in Kahls Film zu sehen bekam, staunen und einigermaßen sprachlos. Eine geplante Diskussion kam nicht zustande.

Das deutsche Bildungssystem leide, so Kahl unter der »kollektiven Imagination» der Lehrenden, dass nur die harten Schulen die besten sind, nicht die reformerischen. Umso größer sei dann das Erstaunen darüber gewesen, dass die »freien» Schulen in Skandinavien, in denen die Schülerinnen und Schüler lange gemeinsam unterrichtet werden und es auch keine Noten gibt, bei Pisa so gut abschnitten – eben »weil» sie so frei waren und nicht »obwohl».

Das deutsche viergliedrige Schulsystem – denn in keinem anderen Land gebe es so viele Sonderschüler wie hier – sei von dem »schlechten Atem der Miss-trauenskultur» gegenüber den Schülerinnen und Schülern geprägt: Es werde nicht geguckt, was sie können, sondern nur danach, was sie nicht können, Fehler würden als etwas Negatives angesehen und nicht als ein Zeichen für Erkenntnisgewinn. Lehrkräfte suchten nach blinden Passagieren, die eigentlich auf die nächst niedrigere Schule gehörten, und betrieben »Osterhasen-Pädagogik», versteckten also das Wissen und ließen die Schüler danach suchen.

Kahl plädiert dagegen für einen anderen Blick auf die Schülerinnen und Schüler. Sein Film zeigt, dass das möglich ist, sowohl was Bildung und Kompetenzen bei den Kindern und Jugendlichen angeht, als auch was das Zufriedenheitsgefühl der Lehrkräfte betrifft. Er rät, die bekannten Sätze »Auf euch haben wir gewartet» oder »Die machen, was sie wollen» einfach anders zu betonen, so dass deutlich wird, dass man sich auf die Kinder freut und ihnen alle Möglichkeiten geben will zu lernen, was sie wollen.

Kahl empfiehlt, mit der Schulreform »bei sich selber anzufangen», denn, so sein Indianermotto: »Wenn du merkst, dass du auf einem toten Pferd sitzt, steig ab». Im Film kommt auch ein dänischer Lehrer zu Wort. Der berichtet, von einer »kleinen Revolution» an seiner Schule. Das Ergebnis: Die Lehrer verließen ihre »kleinen Kokons» und begannen, mit den anderen über ihre Arbeit zu sprechen. »Seitdem sind die Türen offen und wir haben keine Hemmungen mehr, wenn da ein Kollege steht und sich meinen Unterricht ansieht».