DIE ZEIT Lust an der Leistung

DIE ZEIT


28/2004 

Die Lust an der Leistung

Ein Dokumentarfilm macht Mut: Es gibt auch in Deutschland Schulkonzepte, die funktionieren

Ein Kind liegt am Zeugnistag auf dem Bett und weint bitterlich. Ein quälendes Zeugnis? Ach wo. Langsam quillt der Kummer aus ihm heraus: Zeugnistag, das heißt Ferien. Die Lehrerin, die Klasse, das Gebäude werden so fehlen. „Morgen darf ich nicht in die Schule.“ Das gibt’s. Wenn Schule gelingt.

Nun hat der Bildungsexperte Reinhard Kahl, der auch für die ZEIT schreibt, einen Film gedreht, der von solchen gelingenden Schulen handelt, nicht in Kanada, nicht in Skandinavien, sondern gleich um die Ecke, in Deutschland: Treibhäuser der Zukunft. Wer nicht mehr glauben wollte, dass auch hierzulande Schulen Lebensorte sein können, die zum Lernen Zeit lassen, in denen Lust und Leistung, Selbstständigkeit und Zusammenarbeit kein Widerspruch sind, der wird seinen Augen kaum trauen. Kahl macht den Ideologen gut gelaunt einen Strich durch die Rechnung, denn alle Schultypen sind dabei, aus allen Teilen des Landes: die evangelische Ganztags-Gesamtschule Gelsenkirchen; ein bayerisches katholisches Gymnasium; eine Jena-Plan-Schule, die in Jena von der Vorschule bis zum Abitur führt; die Bodenseeschule; eine Grund-, Haupt- und Werkschule in Friedrichshafen; die Montessori-Schule in Potsdam; die multikulturelle Brennpunkt-Schule Max Brauer in Hamburg. Alles dabei. Und Experten wie Hartmut von Hentig, die Bildungsforscherin Elsbeth Stern, der Hirnforscher Manfred Spitzer (siehe obiges Gespräch), der Unternehmensberater Jürgen Kluge, die Familienexpertin Gisela Erler begründen in Kommentaren, warum diese Schulen gelingen.

Gemeinsam ist allen Beispielen, dass die Lehrer die Verschiedenheit von Menschen nicht als Nachteil empfinden, dass sie möglichst über den ganzen Tag eine Lernkultur schaffen, in der sich Konzentration und Entspannung abwechseln können. Kinder schleppen Quittenkisten, stehen im Labor, im Tonstudio, stecken in Laubhütten, balancieren auf dem Hochseil, und immer geht von den Bildern die Faszination des motivierten Lernens aus, der ansteckenden Lust am Gelingen. Mit Lehrern, die sich als Gastgeber verstehen. Zu schön, um wahr zu sein, müsste der rundum besorgte Deutsche da denken. Ist aber wahr, und zwar hier.

Reinhard Kahl: Treibhäuser der ZukunftWie in Deutschland Schulen gelingen; Archiv der Zukunft 2004, 115 Minuten, zu beziehen über die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung, Tempelhofer Ufer 11, 10963 Berlin, 15,– Euro