Bildungsirritationen – OECD Studie NDR Kultur

NDR Kultur  – Journal  13. 9. 05  19´00

Bildungsirritationen   / OECD   „Bildung auf einen Blick“  

Von Reinhard Kahl

 

Wie kommt es eigentlich, dass deutsche Leser bei manchen Zahlen in der neuen OECD Bildungsstudie glauben, das muss doch wohl ein Druckfehler sein. Zum Beispiel dass in Island und Neuseeland mehr als 80 Prozent, in Schweden, Finnland und Polen mehr als 70 Prozent der jungen Leute eines Jahrgangs ein Studium beginnen. Tatsache ist: Das Studium ist in vielen Ländern der Normalfall im Lebensweg geworden.

 

Auch in Deutschland ist die Quote der Studienanfänger in den letzten fünf ausgewerteten Jahren gestiegen. Sogar deutlich. Von 28 auf 36 Prozent. Das wird von der OECD als Trendwende gelobt und von Bildungsministerin Edelgard Bulmahn als Erfolg gefeiert. Aber dieser Anteil liegt immer noch unter dem Schnitt der 30 Industriestaaten, die sich in der OECD zusammengeschlossen haben.

 

 In keinem Land irritiert dieses internationale Zahlenwerk so sehr, wie bei uns. Der Statistik wird immer wieder vorgeworfen, sie vergleiche Äpfel mit Birnen. Aber je feiner sie wird, desto weniger verfängt dieser Einwand. Nimmt man etwa die hier zu Lande besonders geschätzten länger dauernden Studiengänge von fünf bis sechs Jahren, so liegen wir mit 12,5 Prozent Absolventen im OECD-Mittelwert. Dieser Mittelwert wird allerdings von Mexiko und der Türkei ebenso bestimmt, wie von den führenden Bildungsländern in Skandinavien und Asien. Zu denen gehört Deutschland nicht mehr, oder – trotz Trendwende – noch nicht.

 

Bildung, ist kein Kostenfaktor, sondern eine Investition,“ wiederholt der für diese Statistiken bei der OECD verantwortliche Andreas Schleicher auch in diesem Jahr. Er kann vorrechnen, dass sich der Einsatz für Bildung höher verzinst als Geld auf einem Bankkonto.

 

Einspiel 1

Die entscheidende Frage, die wir uns heute stellen müssen: was sind die Erträge, dieser Investition, dieser Ausgaben, wenn man diese Frage genauer untersucht dann zeigt sich, dass Bildung heute der zentrale Investitionsfaktor ist, der Faktor wo wir wirklich entscheidend zum Fortschritt unserer Gesellschaft beitragen können.

 

Erneut muss sich unser Land vorrechnen lassen, dass es in die Bildung zu wenig investiert. Es nimmt von den 28 verglichenen Staaten bei den Ausgaben den wirklich unrühmlichen 20. Platz ein. 4,4 Prozent des Bruttoinalndsprodukts gehen ins Bildungssystem. Dänemark, Island, Norwegen, Schweden und Belgien investieren über 6 Prozent. Auch wenn man die Ausgaben der Wirtschaft für die Berufsausbildung im dualen System hinzu rechnet, bleibt die Summe öffentlicher und privater Investitionen in Deutschland unter dem OECD-Durchschnitt.

 

Warum, fragt man sich, geizt dieses Land so sehr mit Bildung, wo es sich doch gerade auf diese Tradition so viel zu Gute hält? Ist es nur ein Geizen mit Geld?

Bildung wurde bei uns immer als ein Privileg gedacht. Und Bildung ist ein Thema für Sonntagsreden. Von Montag bis Freitag spricht man dann über den Bedarf, gar über den Ersatzbedarf. Wieviele Abiturienten und Hauptschüler, wieviele Juristen oder Chemiker brauchen wir? Nur die wirklich Geeigneten sollen aufs Gymnasium und dann studieren. In diesen Begriff von den Geeigneten ist ein merkwürdiges misanthropisches Gift verkapselt. Aus ihm ergibt sich der Generalverdacht, zu viele Ungeeignete wollten zu hoch hinaus. Mit den vielen Gymnasiasten fange die Inflation schon an. Und noch immer herrscht der Volksglaube, nach einem Studium sei das Risiko arbeitslos zu werden besonders groß. Wer sich nach der Schule für ein geisteswissenschaftliches Studium entscheidet, bekommt zu hören: so viele Taxifahrer brauchen wird doch gar nicht.

 Worauf kommt es heute bei einem Studium an. Der Chef der OECD Studie setzt auf die Wirksamkeit der weichen Faktoren

 

Einspiel 2

Was von jungen Menschen erwartet wird ist nicht nur die Reproduktion von Fachwissen, was sie in der Schule gelernt haben sondern entscheidend sind wie gut können junge Menschen wenn sie in den Beruf kommen Wissen anwenden, Wissen integrieren aus verschiedenen Fachbereichen, kreativ neues Wissen schaffen, d.h. über die Reproduktion wirklich zum Schaffen von neuem Wissen beitragen, inwieweit können sie Probleme lösen, Probleme erkennen, Probleme lösen.“

 

Studieren zahlt sich aus. So hat sich der Einkommensvorteil der Studierenten in Deutschland seit 1998 von 30 auf 53 Prozent erhöht. Es stimmt also nicht, dass sich mit wachsenden Studentenzahlen deren Vorteile im Erwerbsleben nivellierten. Erstmals wurden neben den individuellen Erträgen der Bildung auch die Vorteile für den Steuerzahler und die „sozialen Erträge“ berechnet. Sie sind allesamt positiv.

 

Ein zusätzliches Jahr in Vorschulen, Schulen oder Hochschulen, so die Statistiker, könne langfristig mit einem Wachstum des Brutto Inlandsprodukts zwischen 3 Prozent und 6 Prozent gleichgesetzt werden kann.

 

Aufschlussreich ist, dass in der angloamerikanischen und skandinavischen Tradition darauf gesetzt wird, dass eine Ausbildung gar nicht gut genug sein kann. Von Bedarf spricht man nicht. Weil niemand die Zukunft kennt, muss man sich möglichst gut auf sie vorbereiten. Man sagt schon den Schülern, ihr seid ganz gut, aber in euch steckt noch viel mehr drin als ihr glaubt. Lasst uns was draus machen. Man sagt, hey kommt, wir haben auf euch gewartet. In Deutschland wird der gleiche Satz noch zu häufig ganz anders betont: Auf Euch haben wir gerade noch gewartet, ihr werde noch euer blaues Wunder erleben.