Bernhard Pörksen über das Archiv der Zukunft


Bernhard Pörksen bei der Buchvorstellung von „Moderne Helden“ (Kamphausen-Verlag)  am 23. August 2005 in Hambrg u.a. über das Archiv der Zukunft.
 
 
Mein erster Satz lautet: Was Michael Fuchs und Steffen Gill mit diesem Projekt geschaffen haben, ist ein Archiv der Zukunft. Archive sind traditionell Orte zur Aufbewahrung des Vergangenen, Plätze für Staub, alte Bücher, Erinnerungsstücke. Zukunft ist das noch Unbekannte, Unerschlossene, Offene. Der Begriff Archiv der Zukunft hat etwas von einem Paradox. Erfunden hat ihn der Journalist Reinhard Kahl. „Es gibt hier zu Lande“, so hat geschrieben, „eine heimliche Liebe zum Misslingen, zumal wenn man dabei mit „kritischen“ Analysen und alarmierenden Prophezeiungen Recht bekommt. (…) Dass etwas nicht geht, ist eine Prognose, deren Bestätigung leicht fällt. Dass etwas gelingt, ist immer risikoreich. Aber die eigentliche Sensation ist doch, wenn etwas gelingt.“ Und so ist er losgezogen und hat angefangen für sein Archiv der Zukunft zu sammeln und Filme zu drehen. Er hat großartige Schulen ausfindig gemacht, wunderbare Lehrer, selbstvergessene, kreative, eigenwillige Schüler. Vorbilder hätte man sie früher genannt, aber das klingt ein bisschen nach moralischem Besserwissertum, irgendwie altväterlich. Heute haben wir einen besseren Begriff: „Moderne Helden.“

Das Problem ist jedoch: Das Gelingen ist häufig keine Nachricht; die Medienmaschine arbeitet anders. „Bad news are good news“ lautet ihr zentrales Credo; was in großem Maßstab misslingt, dringt durch, färbt unsere Weltwahrnehmung. Der Absturz, das Unglück, die Katastrophe. In einer solchen Welt braucht man Archive der Zukunft. Sie dokumentieren konkrete Utopien; man kann sie besuchen, um zu sehen, dass man als Einzelner wirksam werden kann. Ihre zentrale Botschaft handelt von einem gelingenden Leben. Man kann sich in diese Archive hineinbegeben, um sich gegen Resignation zu impfen. Die Stimmung in diesen Archiven hat etwas Ansteckendes, Ermutigendes. Man sieht, was möglich ist. Das war mein erster Satz, meine erste These: Michael Fuchs und Steffen Gill und – wenn ich richtig gezählt habe: 50 wunderbare Menschen – haben ein Archiv der Zukunft geschaffen.
 
Mein zweiter Satz lautet: Es ist intelligent, nett zu sein. Warum? Wir neigen dazu, in Schwarz-Weiß-Gegensätzen und Entweder-oder-Schablonen zu denken: Selbstverwirklichung oder Fremdbestimmung, Arbeit oder Freizeit, Eigeninteresse oder Orientierung am Gemeinwohl, Ich oder Wir, das Individuum oder das Kollektiv, der Einzelne oder das Ganze. Das Projekt „Moderne Helden“ führt vor, dass diese Gegensätze so nicht stimmen müssen. Der Widerspruch kann in der Logik existieren, aber im Leben aufgelöst werden. Es gibt im wirklichen Leben viel mehr Kombinationsmöglichkeiten; man kann sein ureigenes Interesse mit der Orientierung am anderen verbinden, kann das Ich und das Wir zusammen führen. Damit bin ich bei meinem zweiten Satz, meiner zweiten These: Es ist intelligent, nett zu sein, weil man auch etwas bekommt, weil vom Glück des anderen etwas auf einen selbst zurückstrahlt. Glück vermehrt sich, indem man es teilt. Das ist die Erfahrung, von der 50 moderne Helden berichten.

Mein dritter und letzter Satz ist vielleicht etwas missverständlich, kitschig, jedenfalls mir selbst etwas unbehaglich. Er lautet: Das moderne Heldentum basiert auf Liebe. Was ist damit gemeint? Wer Liebe sagt, denkt vielleicht an Strandspaziergänge, Küsse, Sex, romantische Bilder der Zweisamkeit. Aber davon spreche ich nicht. Liebe heißt hier: dem anderen einen Raum zu eröffnen, in dem er sich als der zeigen kann, der er ist. Liebe heißt hier: dem anderen, seinen Wünschen und Sehnsüchten, seinen Ängsten und Verrücktheiten, seiner Persönlichkeit und seiner ungeschliffenen Individualität eine legitime Präsenz zu geben, sie anzuerkennen, sie überhaupt wahrzunehmen und sich zeigen zu lassen.

Es kann, so führen die modernen Helden vor, sich bei diesem anderen um ein Kind handeln, das im Koma liegt und durch die Begegnung mit einem Delfin wieder ins Leben zurückfindet; es kann ein so genannter Behinderter sein, der stundenlang auf alle einredet, aber dann in der Musik und in den Aktionen des Atelier Blaumeier seine Möglichkeit geboten bekommt, auf angenehme Weise Aufmerksamkeit zu erlangen. Dieser Respekt im Umgang und dieser Versuch, Räume legitimer Präsenz für andere zu schaffen, verbindet den Musiker, den Überlebenskünstler, den Clown, den Arzt, den Wissenschaftler, den Managementberater, den Hailiebhaber, die Buddhistin und den Gärtner, denen auch Michael Fuchs und Steffen Gill auf ihre Art einen Raum der Präsenz geschaffen haben. Wir feiern diesen Raum heute mit einem Buch und einer Ausstellung. Vielen Dank.

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Juniorprofessor Dr. Bernhard Pörksen
Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft
Universität Hamburg
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